STUDIO B – HESH on Andy Weir

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Idea, arrangement and photo by Alfred Edward Schramm

HESH rezensiert Der Marsianer von Andy Weir

Intro

Mein Boss schmeißt Pfandflaschen in den Mülleimer, nach langen Tagen im Klamottenladen. Ich liebe ihn dafür, denn ansonsten is’ er eher der Energie-Spar-Lampen-Typ. Herr Falschgold benimmt sich ebenfalls wunderlich: Er schenkt mir den Marsianer, und beklebt die Klappentexte mit einem weißem Papier, an dessen Rückseite ein superspezieller Weltraum-Leim haftet, der bei dem Versuch es wieder abzuziehen, das ganze Buch zerreißt. Keine Panik, Vorhaben sofort eingestellt. Und von dem Buch, welches ER in unserer heutigen Sendung besprechen will, verrät er noch nicht mal den Namen.

Kurz, mit solchen Leuten geht noch was.

Auch: Ich hatte überlegt mich zu pampern, (Windelgröße XXL), als ich vor 2 Monaten, direkt vorm Einfahren ins Hospital – zu einer klitzekleinen OP Namens Fundoplicatio – das neue Buch von James Ellroy, Perfidia, geschenkt bekam. Ebenfalls von Herrn Falschgold.

Nun, es kam anders. Anstatt lustvoller Tröpfchenbildung, eher Wüste Gobi: Ich schaffte, in einem für mich endlos langen sowie schmerzvollem Monat, geschlagene 60 Seiten von Perfidia, empfand jedes Wort als aufgesetztes Geschwätz, und war mir sicher: Du kannst grad kein Buch lesen. Nichts. Geh’ spazieren, spiel’ Gitarre oder an dir selber rum, denn Mr. Ellroy ist ja wohl mit Abstand der HERO deines Lebens, seit du lesen, denken, oder irgendwas kannst …,

… mal abgesehen vom selbsttherapeutischen Wortschwall in The Hilliker Curse – kein Mensch will wissen, welche Vollmeise, oder in diesem Fall, welch obskure Pathologie im Verhältnis zu Frauen, ein für sein Werk verehrter Schriftsteller hat. Wahrscheinlich hat der Mann deutsche Wurzeln, hin und wieder kommen die eben durch …

Anyway, den Marsianer von Andy Weir habe ich dann in drei Tagen, ja was, eingehaucht? Floss die Kehle runter wie ein gutes Vitello Tonnato, scheiß’ auf die künstliche Engstelle am Mageneingang.

Zum Buch:
1.)

Wie es dazu kam, dass ein Astronaut allein auf dem Mars zurückgelassen wurde, bleibt hier unbesprochen.
Was noch alles passiert, und erst recht, wie die ganze Sache am Ende ausgeht, wird auch nicht verraten.
Denn Stress mit Herrn Falschgold, ist in etwa so angenehm, wie wenn ein mit Chrystal vollgepumter Uhu, seine Krallen in deine Kopfhaut reinhackt.

Fest steht: Der Name des Astronauten lautet Mark Watney, und seine Crew, zurück an Bord der Hermes, dem einzigen Raumschiff seiner Klasse, lässt schwer den Kopf hängen. Es scheint ein einsamer Gang zu werden, dieser Heimflug zur Erde. Sie müssen davon ausgehen, dass Mark Whatney tot ist. Die Biodaten seines zerstörten Raumanzugs, waren in diesem Punkt unmissverständlich. Natürlich haben sie alles versucht seine Leiche zu finden, um wenigstens sie mit zurück zur Erde nehmen zu können. Niemand wird zurückgelassen, denn ein Sandsturm auf dem Mars, ist wie Krieg in der Ukraine: sobald Menschen zu schaden kommen, wird es inakzeptabel. Aber, hätten sie noch länger nach ihrem Kameraden gesucht, wäre im Sandsturm auch die Landefähre zerstört worden. Und sie wären alle draufgegangen.

Fest steht weiterhin: Mark Watney lebt. Und ist nun allein. Auf dem Mars. Die nächste planmäßige Mars-Mission ist in ungefähr vier Jahren geplant.
Oder so…

Nur leider nicht in der Gegend, wo seine kleine Bodenstation steht. Sondern zirka 4000 Kilometer weit entfernt, mitten im Schiaparelli-Krater
Immerhin, er verfügt über zwei Marsrover.
Welche dafür ausgelegt sind, ein wenig um die Station zu kurven, um Gesteinsproben zu nehmen.

Hm.
Food?
Äh, ich meine: Nahrungsmittelvorräte?
Reichen für ungefähr 100 Tage …

Ah ja.
Also allet eher Apollo.
Nix is’ mit Star Wars.

2.)
Mark Watney, sieht aus wie der US-Filmstar Matt Damon.
Passt wunderbar, denn zufälliger Weise hat Matt Damon, die Hauptrolle in der Verfilmung des Buches übernommen. So muss sich niemand umgewöhnen.

Und ganz hush-hush-Hesh: Einige Verschwörungstheoretiker wollen mittels schlampig zusammengepanschter Filmchen sogar beweisen können, dass Matt und sein Team, jene NASA Hallen als Kullissen für den Dreh benutzen wollten, in denen im letzten Jahrhundert Neil Armstrong den Mond betrat. Dabei weiß jeder Idiot, dass der Mars eine völlig andere Bodenbeschaffenheit hat, als der Mond.

Sowas.
Na Heshie, kommste in die Gänge?

Is’ halt nich ganz einfach, mal wieder über ein Buch zu schreiben, von dessen Inhalt man wenig, bis gar nichts preisgeben will. Und zwar, weil ich will, dass du, genau: du, das Buch selber verschlingen kannst! So wie, sagen wir mal, eine Urlaubsbekanntschaft. Zauberworte wären hier: Neu. Anders. Überraschung! And a loootta fun …. Wenn die Dame dabei nicht schwanger wird, gibts nicht mal Stress. Gut, jetzt isset’ raus: Hesh sitzt im Freibad Mockritz, weil- leider keene Kohle …
… für Kuba.

Was ihr hingegen ruhig wissen könnt:
Mark, unser einsamer Mars-Astronaut, hat so ungefähr eine Zillion Probleme zu lösen. Jedes einzelne davon ist, nicht potentiell, sondern richtig fett – lebensgefährlich.

Ein tödlicher Fehler darf aber, zumindest zu Anfang, einfach nicht passieren. Wer würde wohl schlappe 400 Seiten weiterlesen, über, “den Mann auf dem Mond”, äh Mars…, wenn der Hauptheld auf Seite 12, am Tag 5 der Mission, aufgrund einer lästigen Mondstauballergie (arrgh, ick geb’s auf…) potzblitz erstickt wäre, und der Rest des Buches nur noch verwackelte Bilder von der Marssonde Pathfinder zum Thema hätte? What? Pathfinder hat schon vor Jahren den Geist aufgegeben? Gut, die restlichen 380 Buchseiten wären also weiss, genau wie die Mondoberfläche …

Mein Dad früher, wenn klein Heshie nach 10 Minuten Spartakus gucken winselte:
“ Stirbt der Kirk jetz’?”
“Jetzt schon, Sohn? Da wär ja jetzt schon der Film zu Ende, Hö, Hö, Hö …!”

Also, ein paar seiner Probleme in seinem neuen fulltime job, genannt:
“Überleben auf dem Mars, sowie: herumreisen auf dem Mars und dabei möglichst auch noch zu überleben …”

… wird der liebe Mark schon lösen müssen, denn Short Storys verkaufen sich zäh bis gar nicht mehr, und seit Stand by me von Mr. King basiert erst Recht kein Hollywood-Film auf ihnen.
Und was würde dann bitteschön, aus Matt D., und dem lustigen Trailer auf YouTube?
Ok, Mr. Ridley Scott würde sicher wieder mal einen neuen, alten – oder alten, neuen – Kriegsfilm drehen.

Ist eh alles Sand, wo keine Erde ist.
Staub und Sand.
Ob auf Mars und Mond, oder in Afghanistan.

Jedenfalls:

Matt…, nein, Mark, ist Botaniker.
Humorvoller Typ.
Gelassen. Siehe auch: Mentale Stärke, wie olle Bierhoff das “sprechblasieren” würde … (zur Erklärung: Oliver Bierhoff – Mitglied im Stab der deutschen Nationalmannschaft, ohne näher gekennzeichneten Aufgabenbereich. Der Verf.)
Zurück zu Marky: Er ist klug, pfiffig und smart.
Ohne dabei zu nerven. ( Is’ zwar außer ihm eh’ keiner da, uff’m Mars, aber trotzdem …, UNS unterhält er prächtig …) Und zum Schluss, und extrem wichtig:

Mr. Watney, ist ein waschechter Ami.
Einer von der Sorte, die selbst in der ausweglosesten Situation immer straight, weiter nach vorn geht. Er gibt niemals nicht auf, das Spiel, weil, letzten Endes, ist das ganze Leben doch auch nichts anderes-

als ein Spiel.
Oder?

Manchmal schmeißt’s mich, vor lauter selbstauferlegtem Nachempfinden, (HALLO?, gibts ein Wort für deinen Blattsalat?), also, vor lauter Empathie für das Schicksal von Mr. Watney, lande ich bisweilen in der Schmollecke, z.b. wenn der Mann – nach einer kleinen Explosion seiner Bodenstation, und mit nichts als seinem Raumanzug zwischen sich und der Unendlichkeit des Universums – nichts besseres zu tun hat, als seine Panik mit ‘nem coolen Joke zu neutralisieren und im nächsten Moment bereits verschiedene Lösungen des, oder der, natürlich höllisch komplexen Probleme durchgeht.

Seit ihr Amerikaner wirklich so anders?
Maybe.
Cool.
On the other hand, it scares me in a way

Na ja, ein weites Feld. Womit wir bei Effi Briest wären. Und diesem anderen Roman: Werner Holt. Das eine Buch kotzlangweilig, das andere brandgefährlich, für die Seelen kleiner Jungs die gerne Krieg spielen.
Keine Wahl: Denn das war sie in etwa: die Schulbuch-Pflichtlektüre im Osten.
Immer wieder ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Ex-SED Kader, in ihren einstöckigen Villen in weiß mit Holz-Umantelung, so schön am Stadtrand gelegen in all dem herrlichen Grün, hoffentlich bald alle miteinander verrottet sind …

Zur Roten Zora von Kurt Held, oder, dem Totenschiff von B. Traven, hätten die mich nicht zwingen müssen. Aber da gehts ja auch um die Freiheit, und darum, wie es sich anfühlt, wenn sie dir genommen wird.

Det ging natürlich nun nich’.

Für Ein plötzlicher Todesfall von J.K. Rowling hätte ich den Bonzen allerdings bereitwillig den Wartburg gewachst, und für Den Marsianer von Andy Weir, wäre ich sogar in die Partei eingetreten.

Auf der Stelle.
Es ist das Super-Duper-Schulbuch schlechthin.
Die Sendung mit der Maus meets Science Fiction: Sach- und Sozialkunde in 3D.
Voller deftiger und zugleich subtiler Erotik für Kids deren Säfte gerade erwachen, ganz ohne zu belehren oder gar zu missionieren erzählt diese Buch, was im ganzen Universum gilt, außer vielleicht hinterm Mond:
Lern was, streng dich an, irgendwann lohnt sich das, oder besser: du wirst es brauchen, denn manchmal wirds echt nicht anders gehen, Mann!

Darüber hinaus, macht diese Auffassung bei dem einzelnen Individuum nicht halt: Auch innerhalb einer Organisation, im Buch ist es die NASA, die amerikanische Raumfahrtbehörde: kann nur der Mut zum Risiko, die seelische Immunität bei Rückschlägen, sowie, nennen wir es mal: eine mehr als lebhafte Debatten-Kultur, zum Erfolg führen.
Womit wir bei den involvierten, in diesem Falle, so stolzen Nationen wären: Den USA, na klar, und der Volksrepublik China.

Und siehe da: Es geht. Vorurteile zerbröseln, Prestige-Projekte werden hinten angestellt: Mark Watney wird zum Ehrenbürger, nicht seines Heimatlandes, oder der gesamten westlichen Hemisphäre, nein – der ganzen Erde.

3.)
Am Schluss die Frage:
Was hätte ich in so einer Situation gemacht?
Ich meine, nach dem Blähdurchfall …

Mich gefreut, dass die schlimmste Gefahr für Leib und Leben, der Mensch – in all seinen Extrempositionen, vom Nazipansen aus Gorbitz und Freital, über den IS – zur Zeit noch – in Syrien und dem Irak, bis hin zum Sinaloa-Kartell in Mexiko – hier oben, nicht an mich ran kommt?

Dass ick endlich mal so richtig sicher bin, allein auf dem Mars?

Keine Umweltkatastrophen, Kriege, Anrufe von Ex-Frauen inklusive Unterhaltsforderungen, oder dieses flaue Gefühl beim Öffnen von Briefumschlägen, welche heutzutage eh nur noch besonders saftige Rechnungen umkuscheln. Und, was bitte schön, ginge mich hier das Gesülze der Grünen von der Erderwärmung an?

Oder hätte ich Sehnsucht? Nach all dem Pack, allen voran, nach Fran? Na sicher doch. Oh Baby …!
Was mir wirklich durch den Kopf schoss, ist schnell erzählt:
Du würdest es nicht packen.
Warum nicht?

Komm, lass mal sehen, was du drauf hast:
Wissen, siehe auch: umfassende Bildung
Könnte besser sein. Gefährliches Halbwissen ist Volksport, I’m in the rear with the gear…

Mut
Na eher Wut.

Mentale Stärke
Wenn’s ‘drauf ankommt, ja. Im Räderwerk des Alltags: eher dünne…

Leidensfähigkeit
Ups – Ganz gut.

Durchhaltevermögen
Null.

So wäre ich in die Geschichsbücher eingegangen. Der erste Tote auf dem Mars: ein Ex-DDR Bürger, aus dem Kernland des Döners: Sachsen.

Spaß beiseite,
Leseempfehlung: 100%

Heiko “Hesh” Schramm

Zur kompletten Sendung.

Studio B – Hesh on Edward St Aubyn

 hesh on st aubyn

HESH rezensiert Schlechte Neuigkeiten von Edward St Aubyn

 

Beginnen wir mit einer schlechten Nachricht, dann haben wir das hinter uns:

In den Klappentexten der ersten drei Bücher der Romanserie um Patrick Melrose wird unverhohlen auf die Problematik der Pädophilie hingerwiesen. Dies treibt den Gruselfaktor in die Höhe – ein allseits beliebter Trick zur Verkaufsförderung. Der Mitarbeiter der Redaktion des Verlages hat alles richtig gemacht. Dass der Fokus auf dieses Thema den Leser quasi voreinstellt, sowie dessen Blick auf eine vielschichtige Lektüre einengen wird – drauf geschissen, das Leben ist für alle hart. In einer gerechten Welt würde die Leuchte, die das verzapft hat, in der Putzkollonne verrotten.
Der Schaden ist angerichtet, und so erklärt sich der Einstieg.

1.) Zum Buch:

Eine pädophile Präferenz zu haben, kann passieren. Es gibt Menschen die von sich selbst wissen, dass sie scharf darauf sind, sexuelle Handlungen an Kindern zu begehen. Darunter befinden sich auch die Eltern potentieller Opfer. Entweder, man verfügt über  Unrechtsbewusstsein und begibt sich in Therapie, geht den schweren Weg des Outings, um einem Anvertraute, Schutzbefohlene, vor dem eigenen Selbst zu schützen. Oder aber, man lebt seine Neigung aus und zerstört die Familie inklusive der Seelen aller Beteiligten. Unter den Pfaffen gibt es da eine lange Tradition – kunstvoll wurde und wird seit Jahrhunderten unter den Teppich gekehrt, wenn Papi seine Nächstenliebe allzu wörtlich nimmt. Nicht wenige in ihrer Jugend solcherart beglückte Menschen schlagen einen künstlerischen Weg ein, malen oder schreiben verzweifelt gegen den Schmerz in ihren Herzen an. Manche von ihnen enden als Vegetarier und Impfgegner völlig mittelos in Berlin, andere wiederum versuchen sich mittels Drogen auf Raten umzubringen, bekommen sich wider Erwarten irgendwann auf die Reihe, überleben, und werden sogar berühmt. Womit wir bei Edward St Aubyn wären, dem Autor von Schlechte Neuigkeiten, dem Band 2 seiner Saga um Patrick Melrose, um den es hier geht.

Kaum haben wir den Bucheinband hinter uns, schon wird’s kompliziert: Patrick’s Vater David ist, oder besser war, nicht eindeutig pädophil veranlagt. Er bringt im ersten Buch Schöne Verhältnisse, Patrick’s Mutter Eleanor unter anderem dazu, wie ein Hund vom Boden zu essen, beleidigt und erniedrigt permanent die Gäste seines Hauses, meuchelt ganze Ameisenvölker im Garten mittels Wasser Marsch! aus dem Gartenschlauch, und, ja, er vergewaltigt auch seinen kleinen Jungen auf barbarische Weise – aber alles was er tut, geht für ein und die selbe Sache drauf – dem Kick an der brutalen Unterwerfung seiner gesamten Umgebung. Das Quälen aller lebender Kreaturen, derer er habhaft werden kann, ist das einzig wirksame Sedativum gegen David’s überbordenden Menschen- und Lebensekel – es ist sozusagen, seine Mission auf Erden. Mit diesbezüglichen Details ist Buch 1 mit Sicherheit ein Augenschmauß, Hesh ist jedoch vergönnt, den mittlerweile 22-jährigen, begüterten Junkie Patrick Melrose in Band 2 auf einen Kurztrip nach Manhattan zu begleiten.

David, der Vater, ist nun endlich mausetot. Er liegt in Form von Staub das ganze Buch über in einer Urne, was ihn aber nicht daran hindert, weiterhin über die Maßen dominant aufzutreten, und zwar Dank seines komplett abgefuckten Arschlochs von Sohn.

Patrick fliegt nach New York City, um die Asche seines Vaters heim zu holen. Vom Hinflug an, beginnend mit einem Geschäftsmann namens Earl Hammer, bis hin zur letzten Nacht im Hotel, welche er mit einer Frau namens Rachel verbringt, findet Mr. Melrose alles und fast jeden Menschen, der ihm über den Weg läuft, zu 110% Scheiße.

Essen und Wein, der Sex und die Babys – siehe auch: Die Liebe, desweiteren die Kriegsspiele der kleinen und der großen Jungs, und schlussendlich, die Erhabenheit der Kunst – das wäre mal so über den Daumen samt Fingernagelgeknaupel, was die Welt so zu bieten hat.

Wenn hingegen der junge Mr. Melrose im Warenkatalog des Planeten Erde herumblättert, fängt er nach kürzester Zeit an zu rasen vor Wut. Als er zwischendurch methodisch beschreiben darf, wie er sich seine Drogen beschafft und, sozusagen, einen Beipackzettel herunterzitiert, für welche speziellen Stimmungen bestimmte Arten von Rauschmitteln einzusetzen sind, da beruhigt sich das Buch auf wundersame Weise. Was allerdings nicht lange so bleibt, denn Patrick kaut, frisch vom Rausch gestärkt, sofort wieder besessen die mannigfaltigen Vorstellungen seiner Erlösung durch: Er will pausenlos und einfach so – endlich sterben. Aber egal wie sehr er sich abschießt, er bleibt immer, voll beschissen – am Leben. Und so räsoniert er nahezu auf jeder Seite des Buches darüber, den feierlichen Anlass – sprich den Tod des vehassten Vaters – gebührend würdigen zu wollen, und zwar, indem er sich ausmalt, mit den Drogen ab sofort, (siehe auch: Günther Schabowski), oder eventuell doch erst ab morgen, dann aber für immer und ein für alle mal: Schluss zu machen. Aber wo sollte so ein Schritt nur hinführen? Allein der Gedanke daran, beziehungsweise an etwas, was er sich nicht vorstellen kann, macht ihn völlig fertig …

Abgerundet wird das Höllenspektakel noch durch zwei Personen, welche Patrick nicht völlig egal sind. Mit einer davon, kommt er sogar richtig prima aus, nämlich, ups, seinem Lieblingsdealer Pierre, welcher seinerseits einmal acht Jahre in einer Irrenanstalt lebte, in der Annahme, er sei ein Ei. Bis er einfach aufstand, sich anzog und nach Hause ging. Weil er nämlich, äh, urplötzlich genug davon hatte, ein Ei zu sein. Pierre ist selbst sein bester Kunde und lebt nach strengem Ritus: Zweieinhalb Tage am Stück ist er wach. In dieser Zeit ist er erreichbar und verkauft seine Drogen, dann setzt er sich einen großen Schuss Heroin und schläft 18 Stunden lang durch. Patrick findet ihn spitze, solange der Mann ans Telefon geht.

Die zweite Person, eine junge Dame namens Marianne, lässt unseren charmanten Heroin-Hero eiskalt abblitzen. Sie durchschaut ihn:  Patrick will sie unbedingt vögeln, siehe auch, besitzen, was für den Leser insofern bemerkenswert ist, weil Mr. Melrose zumindest einmal im Buch, irgendetwas anderes will, als sich mit Heroin abzuschießen und sarkastisch durch die Gegend zu giften.

Weiter über diese Pfeife herzuziehen, delegiert Hesh jetzt nicht einfach weiter mit dem folgenden Zitat von Marianne, nein, ganz Gentleman, lässt er lediglich der Dame den Vortritt:

“Gott, dachte Marianne, warum hatte sie sich darauf eingelassen, mit diesem Typen essen zu gehen? Er las die Speisekarte, als ob er von einer hohen Brücke in eine Schlucht starrte. Der Abend würde wohl eine ziemlich mühsame Angelegenheit werden. Patrick befand sich in einem geifernden Zustand zwischen Hass und Begierde. Da konnte man fast Schuldgefühle bekommen, dass man so anziehend war.”

Und weiter heißt es:

“Der Veränderungseifer, den Patrick in ihr auslöste, würde praktisch auf ein Flächenbombardement hinauslaufen. Seine Augenschlitze, die aufgeworfenen Lippen, diese arrogante Art, wie er die eine Augenbraue krümmte, seine gebeugte, fast embryonale Körperhaltung, das bescheuerte selbstzerstörerische Melodram seines Lebens – das könnte man doch alles fröhlich entbehren? Aber was bliebe dann noch übrig, wenn man sich all dieser Scheußlichkeiten entledigte? Es war, als versuchte man sich ein Brot ohne Teig vorzustellen.”

Abschließend stellt Marianne bitter fest:

“Das lästige daran, etwas zu tun, was man nicht tun wollte, war, das einem all die Dinge bewusst wurden, die man anstelle dessen hätte tun sollen.”  

Great Job, David, warst ein toller Papa … oder ist man, oder besser Patrick, irgendwann im Leben einmal selbst dafür verantwortlich, zumindest etwas besser drauf zu kommen? Auch David hatte einen Vater. Und der … und so weiter.

Edward St Aubyn dazu im Interview:
“Letztlich haben wir es bei meinem Vater mit jemandem zu tun, der so geworden ist, wie er behandelt wurde.“

Was wissen wir eigentlich über Herrn Putin’s Daddy?
Weiter … achso, nee, das war’s in etwa, was den Inhalt des Buches angeht.

2.) Patrick Melrose, feat. Edward St Aubyn –  oder umgekehrt?

Wäre diese schwer verdauliche Story noch größere Kunst, wenn Edward St Aubyn hier nicht seine eigene beschissene Jugend veröffentlicht, sondern wenn er sich alles nur ausgedacht hätte? Nach einer behüteten Jugend irgendwo in Mittel-England? Bullshit. Klar, jeder Idiot kann ein paar winselige Liebes-Schmonzetten auf der Wandergitarre zusammennölen, wenn die Katrin weg von ihm und weg aus Friedrichroda nach Berlin abgehauen ist, um sich nun für das durchlittene Tal der Langeweile an der ganzen Nation zu rächen, indem sie Karriere bei den GRÜNEN macht.

Mr. St Aubyn dagegen hat einen Kampf ausgetragen. Er hat sich, von was auch immer getrieben, mit den Dämonen seiner Familiengeschichte auseinandergesetzt. Wenn er sich das angetan haben sollte, um sich danach freier zu fühlen, so hoffe ich von Herzen für ihn, dass die Rechnung aufgegangen ist. Geld hat er genug, an einem Diskurs ist er nicht interessiert, Starallüren sind ihm auch egal.
Es war wohl notwendig.

Diese Geschichte, konnte nur er erzählen. Das Thema jedoch, ist ein Universelles, wenn auch bei den meisten Leuten deutlich weniger dramatisch angelegt: Wie gehe ich meinen eigenen Weg? Und was mache ich mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken, in den jemand einmal meinen Namen eingestickt hat, vor langer, langer Zeit?

Was im Buch anrührt – wenn man nicht gerade mal wieder kotzen muss, oder ins Bad rennt um den Eimer auszuleeren – ist, wie leidenschaftlich Patrick seinen Vater hasst, aber eben auch liebt. Weil er sich in ihm wiedererkennt, oder anders gesagt, weil er das Gefühl hat, das Wesen seines Vaters zu verstehen, und ihm dadurch, ob er will oder nicht, sehr nahe kommt. Ausgerechnet wegen seines Vaters fühlt er sich nicht völlig allein auf dieser Welt. Kaufen kann er sich dafür aber nur eine weitere prallgefüllte Tüte voller Selbsthass. Auf der anderen Seite, ist er sich so gut wie sicher, dass vielleicht niemand sonst ihn je verstehen wird, und wenn doch, ob er das  überhaupt will. Denn das würde bedeuten, wieder … verwundbar zu werden. Sich einzulassen. Und vor allem, den Nerv dazu zu haben. Er kann niemandem zuhören, kein Buch zu Ende lesen, keinen Film zu Ende sehen. Patrick Melrose zu sein, heißt: Das Wesen der Ruhelosigkeit zu leben. Wie eine Achterbahn die niemals anhält. 24 Stunden am Tag obsessiven Ekel über alles und jeden frequentierend. Nur das Heroin weiß um die Gnade, nach der er fleht – in Form einer kurzen Pause im Atomwaffenprogramm seines Hirns.

Wer bestimmt eigentlich, wie und auf welche Weise, und unter Einsatz welcher Gesten und Hilfsmittel ein Mensch versucht, Tag für Tag für Tag mit seiner inneren Verzweiflung in den Infight zu gehen?

Unerheblich dabei, ob eine (allzu) zarte Seele auf die, (definitiv) ziemlich abgefuckte Scheißwelt trifft, oder, ob jemand aus konkret erlittenem Unrecht heraus, am Leben verzweifelt. Es gibt einen Kanon, eine Art Katalog an Gesten, auf den sich die Gesellschaft mehr oder weniger geeinigt hat. Sagen wir, zwei bis vier für Hunger oder Durst, fünf für “Komma her” , oder wahlweise, “Geh weg”, dann noch einige wenige, welche speziell den Frauen, den Homosexuellen und allen Fahrradfahrern zur Verfügung stehen, für: “Nein, wir landen – jetzt, heute, nie – jedenfalls nicht zusammen in der Kiste!” Oder aber: “Vielleicht wird’s ja doch was mit uns, aber versauen kannst du’s noch jederzeit!” Das restliche Ampel-Frauchen & -Männchengehampel geht drauf für: “Ich muss mal dringend, irgendwo draußen, wo kein Klo in der Nähe ist”.

Dann ist ZICK.
Ende.

Irgendetwas richtig Krasses? Erlitten, durchlebt, wieder ausgekotzt? Ein wildes Tier, was dir von innen mitten durch die Visage bricht und sich seinen eigenen Ausdruck sucht?  Das aufgeregte Rudern dünner Ärmchen im Wind? Hey, da trägt einer den Thousand-Yard Stare mit sich herum, während Kinder in der Nähe spielen! Oder gar ein Schreien, Wüten oder Toben – mitten in unserer Stadt, in der doch noch Frieden ist, wo wir eigentlich gerade entspannt shoppen gehen wollten …?

Nee, nee, nee, nee, nee – Stop!
Ups, schnell ist’s vorrüber, die Polizei haut dir’n Gummiknüppel drüber …

Alles aus dem Rahmen fallende erhöht den hysterischen Angstpegel der Human Society, gilt augenblicklich als Sicherheitsrisiko, und wird in die Anstalt verbracht.

Wir freuen uns also für Patrick, dass er: a.) reich ist, also das Geld für Drogen hat. Und b.), dass er die Wirkungsweise von Heroin auf die Psyche überhaupt irgendwann entdeckt hat. In den Neunzigern, zu Technozeiten, wäre er vielleicht ahnungslos an Crystal Meth verreckt oder irgendwo durchgedreht, Rest: siehe oben.

Edward St. Aubyn dazu:

“Heroin zählt zu den Dingen, mit denen man Gefühle und Erinnerungen ausschalten kann. Ohne Heroin hätte ich mich umgebracht, denke ich.”

Wie wär’s denn mit abstumpfen?, Also, das wird ja auch empfohlen. In feineren Kreisen nennt man das seit der Frühindustrialisierung Gelassenheit, wohlwissend, dass das in der westlichen Welt kaum ein Mensch je hinbekam. Siehe da, und so ward der Zynismus geboren.

Gestern bei Starbucks die schöne blonde Barrista-Lady – äh, wie hängt man hier das –in dran: Barristin? Jedenfalls meinte sie bitter, mit Verweis auf einen angestrebten Jobwechsel: “Man stumpft doch ab”. Blond, wunderschön, und noch keine 30. Trotzdem sah sie merkwürdig welk aus, bei diesen Worten. Das kann’s also auch nicht sein – is’ schlecht fürs Bindegewebe.

Auch Patrick sieht in Schlechte Neuigkeiten so herausragend scheiße aus, wie er sich die ganze Zeit über benimmt. Während des Lesens wünscht man ihm manchmal von Herzen seinen goldenen Schuss, damit alle seine Wünsche auf eins in Erfüllung gehen, und man selbst seine Ruhe hat. Während Hesh diesen ketzerischen Gedanken genießt, hält er den Autor Edward St Aubyn trotzdem für ein Genie. Der Mann soll seinen Seelenfrieden finden, egal ob nur noch Grütze von ihm kommen sollte, wenn dieses Mammutwerk einmal abgeschlossen ist. Angeblich soll der vor einiger Zeit erschienene sechste Band ja der letzte sein. Will sagen, Literatur ist auch nicht alles im Leben. Die köstlich anstrengenden Bücher von Mr. St Aubyn sind zu empfehlen – vor allem Leuten, welche man insgeheim für ihre Fähigkeiten bewundert, die man aber eigentlich gar nicht leiden kann …

3.) Ein Nachtrag in Sachen Sprache

Companion to success,
Companion to literary devices…,
Oder auch:

Wie wär’s mit einem neuen Handbuch für sprachliche Stilmittel? Metaphern, Idiome, Aphorismen, Abhandlungen oder aber: Vergleiche, Vergleiche, Vergleiche, Vergleiche, Vergleiche usw. – Vergleiche, welche so nur Edward St Aubyn einfallen können.
Man genießt sie, bewundert sie, ermüdet an ihnen, bis sie einen irgendwann ankotzen.

Oma Schramm zum 12. Geburtstag von Heshie. Sechs hitzebeständige, braunweiß gesprenkelte Backformen voller Würzfleisch mit Käse überbacken. Das Projekt: Sich einmal im Leben, so richtig daran satt futtern. Dreie hatter dann mit Ach und Krach geschafft …
Nur mal so als Vergleich.

WIE WIE WIE – meine Lieblingsvergleiche, hier erbarmungslos aus dem Kontext gerissen:

“Und all die vereinzelten Gedanken schnellten zusammen WIE lose Eisenspäne, wenn man einen Magneten darüberhält und er sie zur Form einer Rose zusammenzieht.”

“Heroin landete behaglich schnurrend auf seiner Schädelbasis und wand sich dunkel um sein Nervensystem, WIE eine schwarze Katze, die es sich auf ihrem Lieblingskissen gemütlich macht.”

Und der Ultimative überhaupt:

“Ein Bad ohne Drink, das war wie – wie ein Bad ohne Drink. Wozu sich verkünsteln oder Vergleiche finden?”

Genau.

Mr. St Aubyn ist wohl auch aufgefallen, dass es bisweilen etwas zu viel des Guten sein könnte. Glücklicherweise schert er sich aber herzlich wenig darum, schließlich fallen dem Mann die besten Bilder ein, die Heshie je gelesen hat. Letzterer ist auf jedes einzelne davon höllisch neidisch, auch wenn sie ihm in der Summe auf den Beutel gehen. Womit der Rezipient den Beweis antritt, dass auch ein Dresdner eine in sich zerrissene, multiple Persönlichkeit …, und / oder so dämlich sein kann, sich freiwillig als Narziss zu outen, siehe auch: Wenn ein Narzist sich selbstkritisch gibt, so ist das Tagesgeschäft, d.h. er ringt um Anerkennung, die Pulsfrequenz nur leicht erhöht, so wie immer …

Wieder zurück zu Mr. St Aubyn – dieser lässt Patrick einmal, vielleicht  vorsichtshalber, räsonieren:

“Vielleicht schoben Vergleiche dieselbe Idee nur schwach verschleiert hin und her, um den Eindruck eines fruchtbaren Handels zu erwecken. Sir Sampson Legend war der einzige ehrliche Freier, der je die Frauen gelobt hatte. ‘Reichen Sie mir ihre Hand, Fremde, ich will sie küssen; sie ist so warm und weich – weich wie was? Ganz wie die andere Hand, Fremde.’ Das war doch mal ein akkurater Vergleich. Die tragische Beschränkungen des Vergleichens. Das Blei im Herzen der Feldlerche. Die enttäuschende Krümmung des Raumes. Das Verhängnis der Zeit.”

Warum also so viel davon?
Nun, ansonsten passiert ja nicht viel. Wie auch, wenn man wie Patrick in der Verweigerungsfalle steckt:

“Natürlich konnte er noch immer auf die Party gehen, zu der Anne ihn eingeladen hatte, aber er wusste, dass er das nicht tun würde. Warum verweigerte er sich immer? Weigerte sich mitzumachen. Weigerte sich einzustimmen. Weigerte sich zu verzeihen. Sobald es zu spät war, würde er sich danach sehnen, auf diese Party gegangen zu sein. Er sah auf die Uhr. Erst halb Zehn. Der Zeitpunkt war noch nicht gekommen, aber sobald es so weit war, würde sein Verweigern in Bedauern umschlagen. Er konnte sich sogar vorstellen eine Frau zu lieben, vorausgesetzt, dass er sie zunächst verloren hatte.”

Echte Teilhabe verweigert der junge Melrose, seine Distanz zu den Dingen verschafft ihm jedoch eine manchmal bemerkenswerte geistige Klarheit:

“Wenn der Geist wie eine Kasse funktioniert, ist alles, was da herauskommt, zwangsläufig billig.”

Touché.

Im Morast der Armut, im Lebenskampf des Normalo-Mungo’s, muss man sich solch klare Gedanken, konträre Positionen, oder das viel beschworene  “einfach Darüberstehen” oft verkneifen, um schlicht – zu funktionieren. Siehe auch: Um was zu fressen zu haben. Das kann für verkorkste Seelen durchaus eine Gnade sein, Arbeit soll bekanntlich     frei machen, aber man kann dabei auch leicht zum Zombie werden. Der Verweis auf die in diesem Zusammenhang oft erwähnte sprichwörtliche Gelassenheit, hält einer Tiefenprüfung selten stand: Es verbirgt sich allzu oft Abstumpfung (s.o.), Ermüdung oder Resignation dahinter. Sofern noch ein Rest Wut vorhanden ist im HORST, und gerade kein Bahnhofsneubau oder Brückenprojekt zusammenschweißt,  dann rennt er eben montags wie wild durch DD. Die GEZ, alle Ausländer und die da, die da Oben …, det zieht immer!

Und Patrick? Den interessiert sowas einen Scheiß. Er leidet lieber wie ein Vieh unter Erkenntnissen, die er sich nun mal leisten kann:

“Wie konnte er sich denkend des Problems entledigen, wenn das Problem darin bestand, wie er dachte?”

Oder:

“Ich habe die ganze Nacht nachgedacht”, – wenn man das Denken nennen kann -, darüber, ob Ideen durch das beständige Bedürfnis zu reden entstehen, das gelegentlich durch die lähmende Gegenwart anderer Menschen erleichtert wird, oder ob wir im Reden einfach nur das äußern, was wir zuvor schon gedacht haben.”

Oder ganz, ganz fein zum Schluss:

“Er hegte (überdies) die (entgegengesetzte) Fantasie, dass er, würde er jeden Penny verlieren, aus der Notwendigkeit heraus, Geld zu verdienen, endlich den Sinn des Lebens entdecken würde.”  

Finds einfach raus, Patrick! Hesh’s Kontonummer ist die 2976893765 bei der Ostsächsischen Sparkasse Dresden.

Heiko Hesh Schramm

Zur kompletten Sendung.

Studio B – HESH on Judith Herrmann

 

HESH rezensiert Aller Liebe Anfang von Judith Hermann.

 

Dieses Buch hat Sound. Diese gerade einmal 130 Seiten von Frau Hermann. Ganz anders als die Geschichten, in denen Hesh mal eben easy andockt. Reduziert bis auf die Knochen. Kein Steak, keine Lusttropfen. Nicht mal New York City, oder wenigstens Helsinki …

Alles kein Problem, wenn wie hier zu erleben, die Sprache zu Farbe wird. Rostrot, Moosgrün …, Aubergine? Hesh ist bezaubert, aber er hat keinen Schimmer wovon eigentlich, denn er ist farbenblind. Sein Boss kann das aus leidvoller Erfahrung heraus bestätigen …
Textilbranche.
Verkauf.

Schluss damit, hier geht’s um den ersten Roman von Judith Hermann, einer in Deutschland für ihre erfolgreichen Kurzgeschichtenbände von der Literaturkritik hochgelobten, sowie auch genüsslich in der Luft zerfetzten Schriftstellerin.
Beide Extreme gereichen zur Ehre, ignoriert zu werden ist die wahre Hölle.
Frau Hermann hatte mich nach drei Seiten am Haken. Klarheit und Effizienz. Manche haben das einfach, andere müssen darum ringen, wenn sie es so haben wollen. Wie auch immer – das Ergebnis zählt. Und das fühlt sich hier nach harter Arbeit an. Überwacht wird da, ausgesiebt, und wieder und wieder: Weggelassen. Leichtigkeit muss niemand suchen, auf der Habenseite winkt eine Komplexität, welche ohne Verschwurbelung oder selbstverliebter Bilder auskommt. Was übrig bleibt – ist der Beitrag von Judith Hermann, in Zusammenarbeit mit ihrer Protagonistin und zentralen Figur des Romans Stella, zum Thema: Was soll das alles hier?

Dieses Leben.
Mein Leben …, was sich irgendwie nicht wie das richtige anfühlt. Wie komm ich da raus, und/oder, in ein anderes Leben? Aber welches? Und wie soll das gehen? Unhappy sein. Unerfüllt. Und das, auch noch scheinbar ohne jeden Grund, was ein noch mieseres Gefühl zur Folge hat.

Also, muss ein Grund her. Der Grund – heißt Mr. Pfister. Mit dessen Performance wird das Buch eigentlich beworben. Ein psychisch labiler, sehr einsamer Mann, welcher Stella über Wochen belagert. Es wird der Versuch einer Kontaktaufnahme unternommen, was Stella entschieden ablehnt. Danach klingelt der Typ jeden Tag an ihrer Tür, verfluchter Weise immer dann, wenn sie allein zu Hause ist, und bombardiert ihren Briefkasten mit wirren Nachrichten aller Art, wie z.B. Briefen, Kassetten, Videos usw. Gegen Ende dreht der Mann mehr und mehr durch und schreckt nun auch vor Vandalismus und Gewalt nicht zurück. Das Buch erzählt die Geschichte dieser Zuspitzung.

Tut es das? Ein Roman zum Thema Stalking? Ja, unter anderem. Oberflächlich betrachtet, erscheint die ganze Resthandlung wie bloßes Füllwerk: Stella hat ihren Mann im Flugzeug kennengelernt. Einige Seiten weiter gibt es ein Leben in einer Siedlung, in einem Haus. Stella’s Mann Jason ist beruflich viel – oder besser fast immer – unterwegs, daher wird das Leben in diesem Haus hauptsächlich von Stella und ihrer Tochter Ava gelebt, und, zumindest was Stella betrifft, eher irgendwie ausgehalten.
Stella arbeitet in einer Art Altenpflege, wo Sie an manchen Tagen pro Schicht immer nur eine Person bzw. ein altes Ehepaar versorgt. Und diese alten Menschen, die halten Stella gegenüber nicht gerade hinter’m Berg, aber dazu später.
Achso, manchmal ist Jason kurz zu Hause.

Was noch? Genau: Über allem schwebt der Stalker Mr. Pfister, der in einem verfallenen Haus in der selben Siedlung wohnt.

Muss Frau Hermann nicht eigentlich froh sein, dass ihr der Herr Pfister eingefallen, oder vielleicht einer ihrer Bekannten oder Freundinnen irgendwann einmal zugestoßen ist? Weil sonst alles zu dröge wäre? Nein. Stalking ist für Betroffene, und das sind in den meisten Fällen Frauen, der helle Wahnsinn.
Das Buch vermittelt Stella’s Hilflosigkeit in dieser gräßlichen Situation sehr deutlich. Wie Säure in den Eingeweiden.

Wie komme ich dazu zu denken, dass es konsequenter gewesen wäre, diesem Stalker ein eigenes Buch zu widmen, eine in sich abgeschlossene Geschichte vielleicht, und hier besser Stella’s Geschichte etwas ausführlicher zu erzählen? Mit “ausführlich” ist mitnichten die Anzahl von Adjektiven gemeint, dieser knappe, oft auf jegliche Satzzeichen verzichtende Stil kommt manchmal zwar vielleicht etwas kontrolliert daher, aber, und das an dieser Stelle nicht gönnerhaft, sondern aufrichtig bewundernd gemeint – es liest sich grandios.

Mich hat jedenfalls weniger die offensichtliche Tragödie im Magen erwischt, als vielmehr zentral dieses Lebens-un-gefühl, auf welchem Stella das ganze Buch hindurch herumkaut. Ohne sich das ausgesucht zu haben, oder sich etwas darauf einzubilden. Wie sportlich Sie es auch immer nimmt, die inneren Fragen sind mit sich allein, Antworten gibt es keine, wie auch, der Blickwinkel bleibt sich die meiste Zeit über so gottverdammt treu.

Mit der Figur der Stella macht Judith Hermann der von der Externalisierungsgesellschaft geprägten Literatur des Nordwestens nichts weniger als ein exemplarisches Geschenk. 2014. Es ist Zeit für Geschichten wie diese, im Dunkel privater Existenzen mäandern sie schließlich schon seit Ewigkeiten.

Einige der Frauen, die ich in meinem Leben liebte, oder besser, an deren Seite ich mich abstrampelte Sie zu lieben, das waren Stellas.

Es wird die Geschichte einer Frau stellvertretend für viele andere erzählt, nicht im Duktus eines: Beziehungs-, Koch-, Kindererziehungs- und/oder Karriere- respektive Belastbarkeitsratgebers, auch nicht mit Erlebnisberichten von der Mutter-Kind-Kur auf Rügen für die beste Freundin am Smartphone, mit der Frau mal Soziologie studiert hat, so in der Art von:
“Oh, mein Gott, Greta, das ist ja großartig, er ist Arzt?”
‘Was der wohl so im Monat …’ “Äh, Wow! Und, er nimmt auch deine Kleene an, und was? Er will mit dir nach Barcelona ziehen? Der Wahnsinn!!!”

Nein, hier kommt etwas anderes ‘rum, und da stecke ick mir allen Zynismus sonst wohin: Einige Frauen werden sich nach dem Lesen dieses Buches vielleicht etwas weniger allein, weniger kaputt, und zumindest vor sich selbst etwas mehr verstandener fühlen.

Aller Liebe Anfang, you know?

Sich kurz entspannen, neue Kraft tanken zu können, zum Verkraften der harten Tatsache, dass das Leben bis zum Ende ein beschwerlicher Batzen aus Problemen bleiben wird – außer du kraxelst rotzfrech oben ‘rauf, sagst -”Fuck you, Batzen!” -, geniesst für’n kurzen Moment die Aussicht und lässt dich vielleicht mal kurz fallen, aber Vorsicht, nicht einfach nur herab, ins nächste Tal.

Wer schafft das denn?
Du?
Nö.

Anyway, das Buch platzt vor sanft und behutsam erzählten, aber dafür umso stärkeren Bildern:

Jason sagt nichts, und Stella schweigt ein wenig und sagt dann, ich möchte vielleicht gerne im Center an der Kasse sitzen. Ich möchte Kaffee und Croissants verkaufen in diesem kleinen Stand da in der Mitte der Halle. Ich möchte eine Saison lang Erdbeeren pflücken. Eine Ausbildung zur Floristin machen. In der Buchhandlung aushelfen. Im Büro rumsitzen, so wie Paloma. Ich möchte vielleicht Paloma sein?
Stella fällt ein, das es riskant sein könnte, mit Jason über Ideen von einem anderen Leben zu sprechen, einem anderen Beruf. Was soll er dazu sagen? Aber er lacht jetzt, leise, und sagt,
dann mach es doch einfach.
Nicht Paloma sein, aber alles andere – warum machst du’s nicht einfach.
Weil es nicht einfach ist, sagt Stella.
Für mich jedenfalls ist es nicht einfach. Nichts kommt mir einfach vor auf dieser Welt,
außer vielleicht, für Ava das Abendbrot zuzubereiten oder die Betten neu zu beziehen oder das Geschirr ordentlich abzuwaschen.
Jason nickt.”

Oder, da gibt es diese alte Dame, welche von Stella gepflegt wird, eine nach wie vor kampfeslustige mondäne Zwicke namens Esther, und was die vom Stapel lässt, ist nun wirklich unerlässlich für die Gewährleistung einer ausreichenden Sauerstoffzufuhr während der Lektüre des Buches:

Esther: Das ist hier eine tote Ecke. Eine tote Ecke der Welt.
Ich weiß gar nicht mehr was mich hierher verschlagen hat, wie in Hergottsnamen ich mal hierhergekommen bin.

Etwas weiter heisst es:

Stella gießt die beiden Gläser voll. Randvoll, sagt Esther, zögern Sie nicht. Zögern Sie nie! Das ganze Leben ist ein Abgrund, und je weniger Sie sich fürchten, je länger Sie hineinschauen, desto mehr haben Sie davon.

Schließlich das ältere Ehepaar, ebenfalls von Stella gepflegt – Julia und Dermot. Und Dermot, hat auch noch so einiges zu sagen …

Man muss, glaube ich, immer ein Arrangement versuchen, sagt Dermot. Er sagt es, als hätte er schon eine Weile darüber nachgedacht. Zwischen Anteilnahme und Gleichgültigkeit eine Mitte finden. Die Gleichgültigkeit ist sehr wichtig. Ich meine nicht Kälte, ich meine eher Gelassenheit. Vielleicht sollten Sie sich das nicht zu Herzen nehmen? All das geht auch vorüber, so viel kann ich ihnen sagen.

All diese wundervollen Figuren im Buch: Esther und Dermot, bisweilen auch Ava und Jason, und erst recht die beste Freundin Clara …, die machen manchmal Lust auf mehr, ich sag mal, auf – mehr Unvorhersehbares …

Was solls, Frau Hermann merzt in diesem Buch nun einmal alles weg, was nicht absolut zwingend sein muss.
Gut.
Muss ich durch, is nich’ meine Party.
Aber, nur mal so zur Erfrischung, hier ein klitzekleiner Sch(t)uss vor den Bug von Frau Hermann.
Charles Willford hätte ihr zu gebrummt -”Du bist verdammt gut, du mandeläugige Germanin, aber wenn du willst das deine Figuren dich, UND AUCH DIE LESER-INNEN (YARH!!!) hin und wieder überraschen, dann lass Sie doch mal’n Stückchen mehr vom Haken …!”
HMPF.

Spaß beiseite – Stella wird gestalkt.
Das verstört ihre ohnehin zarte Seele, sie fühlt sich, und das zu Recht, übel bedroht.

(Das liest sich zynisch? Isses nich’, bitte check mal deine SMS Missverständnisse mit diversen Sexualpartner-innen aus dem letzten Halbjahr …)

Stella’s innere Panik jedoch, die war schon vorher da. Nun ist sie gar nicht mehr auszuhalten. Im Buch wird es ausführlich beschrieben – eine gewisse Unordnung, das kleine Chaos all der Dinge für die manchmal kein Mensch mehr den Nerv hat, die nun jetzt auch noch aufzuräumen, all die Spuren des Lebens von Stella und Ava, die Anwesenheit der beiden im Haus. Sowie auch – die oft als schmerzlich empfundene Abwesenheit von Jason.

Worauf hingegen fast komplett verzichtet wurde, das sind Personenbeschreibungen. Hey, du bist frei, darfst dir was vorstellen, und aus all den genauestens beschriebenen Bildern, wie es z.B. um die Atmosphäre in diesem Haus so bestellt ist, so einiges über Stella’s inneren Zustand herauslesen.
Aber das, das geht leider nicht, weil, hmm, das steht immer schon da. Denn das Innere wird permanent und tatsächlich erschöpfend von dem Gespann Stella alias Judith hardcore-reflektiert, und lichtgeschwindigkeitsmäßig abgedruckt. Dafür ist dann doch erstaunlich viel Platz in dem kleinen Buch.

Ich meine mit diesem Gestichel, dass das manchmal nervt! Oder vornehm weiblich: Es ist anstrengend.

Na und?
Es geht ja wohl auch zu Herzen, oder nicht?
Touché.
Stella hat 24 Stunden am Tag das zweite, das innere Rechenprogramm laufen, bei allem was sie sonst noch reißt. Es rattert dermaßen in ihrer Rübe, das sie wohl selbst im tiefsten Winter keine dieser so schillernd roten Baskenmützen nötig hätte. Mit vielen ihrer Gedanken wird sie trotzdem ganz und gar nicht warm.

Wer das Buch liest, der weiß Bescheid. Stella’s Umgebung tappt hingegen oft im Dunkeln. In der Kunst mag es so sein, dass ein nicht ausgesprochener Satz quasi nie existiert hat, in der Kunst das Leben zu meistern, kommst du an den eigenen Empfindungen nicht vorbei, ohne nicht auch dich selbst und damit deine Umgebung zu beeinflussen. Völlige Passivität im verbalen Austausch führt nicht wirklich zu Veränderungen, eine Weisheit, die sich meist die Herren der Schöpfung anhören dürfen. Was solls, manchmal liebt sich ein Paar, obwohl beide nicht viel reden. Probleme gibt es trotzdem.

Also öffnet sich Stella im Verlauf der Geschichte. Am Anfang des Buches spricht Sie nur mit ihrer Freundin Clara so vertraut, wie man es sich manchmal auch im Umgang mit ihrem Mann wünscht. Sie befürchtet, bei ihm kämen allzu klare Innenansichten vielleicht nicht an, oder schlimmer noch, er könnte denken, sie hätte einen Treffer. Was ja auch stimmt, aber wer hat den heute nicht?

Überhaupt. Paare. Sollten die einander nicht gut kennen?
Ich-Du-Er-Sie-Es- hat darauf ein Recht, sprach der Specht. Oder doch nicht so einfach? Wen du liebst, den machst du nicht einfach zum seelischen Mülleimer?

Guter Gedanke…

… und Stella’s unglaubliche Stärke. Wie destruktiv sie mit sich selbst auch ins Gericht geht, sie widersteht dem Impuls, unreflektierte Gedanken gegenüber ihrer Umwelt einfach herauszuschleudern. Insofern ist sie wohl eher Stella Stellar (Baureihe 2.0), während ich mich zeitlebens mit dem Vorgängermodell herumstritt …

Egal, ich war beim reflektieren, besser dabei, Stella zu reflektieren… Quatsch, das schafft kein Mann. Beschreiben, das geht.

Stella macht nicht allein vor eventuell problematischen Themen halt, auch sehr schöne Empfindungen behält Sie im Zweifel für sich. So sagt sie ihrem Mann nicht, welche Gesten sie an ihm liebt, aus Furcht, er könne sich ihrer dann allzu bewusst werden, und darüber seine Natürlichkeit verlieren …

Auch: Wie seziert in Stella’s Kopf manchmal die Handlungen, Gedanken und Kommentare ihrer Tochter widerhallen, ist an verstörendem Realitätsinn nicht zu überbieten. Bei aller Liebe Ava gegenüber, ist da oft eine verstörende Distanz.

Mutter sein.

Das wirst du, wenn du einen Mann hast, es ein Heim gibt, du dich nicht prinzipiell gegen Kinder entschieden hast, und, ganz wichtig, wenn der Typ manchmal übers Wochenende auch zu Hause ist. Zumindest einmal…

Und dann, nach der Kindbett-Depri-Woche, was kommt dann?
Frau, also Mensch, bist du zwar von Geburt an, mit der Suche nach deinem Platz im Leben manchmal jedoch noch lange nicht durch …
Aber wen interessiert das noch, wenn das Baby im Nebenzimmer anfängt zu schreien, und nur du im Haus bist?

Es tut weh zu lesen, wie Stella bisweilen abschmiert innerlich, an der unverwundeten Härte der Tochter, ihrer Klarheit, frei von der Leber weg, eins zu eins auf ihre Umgebung zu reagieren. Das hat die Mutter einfach nicht, nie gehabt. Also ist sie auch in Gegenwart des Kindes, oft und wieder einmal, mit sich allein, fühlt sich bisweilen fast verraten, auch wenn sie weiß, dass das Blödsinn ist. Grip hat Stella oft nur in den gemeinsamen Ritualen, dem Bereiten des Abendessens, oder anderen Handgriffen im Haushalt – auf die Bewegung kommt es an, weg vom Tosen im Gehirn, hin zum Gebrauch der eigenen Hand beim Öffnen einer Waschmaschine …

Klar, jeder Idiot weiß, dass Geschirrabwaschen gesund für die Psyche ist. Oder war das Abtrocknen, und in einer Welt voller Geschirrtrockner …?

Jetzt zitiere ich schon munter die Zitate, also langsam Ende hier – das Ende des Buches wird hier wie immer nicht verraten, nur soviel noch:

Wie eingangs erwähnt, in dem Buch sind keinerlei Sujets zu finden, auf die ich gemeinhin abfahre, überhaupt, von all dem worauf ich so stehe im Leben, und vor allem in der Nacht, ist hier zero, null, nix, nada die Rede.

Alles was ich hingegen “schwierig” (auch dieses Wörtchen eine Leihgabe moderner weiblicher Textbeiträge) also, was für mich eine geistige Herausforderung darstellt – das gibt’s hier Sonne satt. Oder besser, grau ohne Ende.

Mich manchmal schwer getan.
Im Vorfeld gierig Ressentiments über Frau Hermann gelesen, drauf und dran gewesen, diese nachzuplappern. Mir irgendwann verstohlen die Dickies hochgezogen, und zur Abwechslung mal ein paar der eigenen Grenzen plattgewalzt.
Während des Lesens waren die zu eng geworden.
Aller Liebe Anfang von Judith Hermann – ist eine Offenbarung.
Ein Meisterwerk? Keine Ahnung.
Ein wichtiges Buch.
Für die Frauen.
Und all jene Männer, die heute Frauen lieben.

Heiko “Hesh” Schramm

Zur kompletten Sendung.

Studio B – HESH on Veit Pätzug

Photo by Andy Menz

Photo by Andy Menz

Dynamo

HESH rezensiert Schwarzer Hals, gelbe Zähne von Veit Pätzug.

Mein Sohn Al fährt Stunt-Scooter, skatet wie der Teufel, BMX-Rad fährt er auch, und wenn die demnächst noch was neues rausbringen …, egal, jedenfalls hängen wir oft am Lingner rum. (Mitten im Zentrum von Dresden – Lingner-Allee – Dynamoland!) Ich glotz ihm zu, wenn er wie’n Wirbelwind über die Skaterbahn peest, lese dicke Wälzer über John F. Kennedy und betrinke mich entspannt. Eines Samstagnachmittags fluteten die Fans von Dynamo die Szenerie, wie ein endloser Strom aus schwarz-gelben Leibern. Nur’n paar Meter entfernt von mir und meiner eiskalten Bierbüchse, versammelte sich ‘ne Truppe Dresdner Ultras, jeweils auch mit ‘ner noch vollen Flasche in der Hand. Das war’s aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten …

Damit ihr euch das vorstellen könnt: ich seh’n bisschen aus wie’n Boxsportreporter aus Dallas, Texas, allerdings aus der Zeit so um zirka 1962: Hut und schmales Schlipschen, dazu auch noch, halt dich fest, Cowboy-Boots! Alles in allem, wohl’n ziemlich krasser Aufzug für’n Rudel junger Kerle, die eher auf UMBRO Sweatshirts stehen …

Daher bekam ich von den Jungs auch’n paar Blicke ab, als wär ich vom Mars oder so. Mist. Ok, ich plusterte mich also künstlich ein bisschen auf, und versuchte einen auf dicke Hose zu machen. Ich stellte mir vor, ich wär, also, äh, mindestens ‘n Mafia-Killer. Batman is’ nun wirklich  durch …

In Wahrheit, hatte ich natürlich den Arsch voll – Horden von jungen Typen mit Wut in den Augen lösen bei mir zuverlässig Anfälle von Blähdurchfall aus. Diesen von der Art, wo man nich’ weiß, ob’s nass rauskommt, Comprende? Für ‘nen kampferprobten Schisser, also Flucht nach vorn: das Männlein mit Hut schlurfte betont lässig zu dem Pulk hin und – FUCK (!), bekam es doch tatsächlich hin zu fragen:

“Gegen wen spielen wir’n heute?”

Mindestens 7 Augenpaare nahmen mich ins Visier und wurden dunkelgrau.

“Wir?”

“Hackt’s, du Pansen?”

Ok, abgelofen und bumm Ende.

Dabei fand ich die BILD-Schlagzeile damals doch selber voll zum Kotzen: Von wegen “WIR sind Weltmeister” und so’n Scheiß …

Veit Pätzug, welcher das vorliegende Buch zusammenstellte, hat kein Glaubwürdigkeitsproblem. Er ist mit Dynamo aufgewachsen, aber selbst für ihn war es am Anfang nicht so einfach, mit den Jungs ins Gespräch zu kommen.

Du gehörst dazu, oder eben nicht.

Gründe für gesundes Misstrauen sind reichlich vorhanden. Die allzu oft arg einseitige Berichterstattung deutscher Printmedien, zumeist mit Fokus auf tatsächliche, oder angebliche Gewaltexzesse, kennen und hassen die Fans bis zum Erbrechen. Ein schier endlos schwallender Strom aus  zugespitztem, und, na klar, meistens von Außenstehenden abgelassenem Dünnschiß. Irgendwie hab ich’s heute rektal, und, ausgerechnet ich muss über Außenstehende herziehen …, der Punkt ist:

Über das Buch Schwarzer Hals, gelbe Zähne hat sich eigentlich niemand auszulassen.

Es gehört den Fans.

Purer ungeschönter Hardcore. Punkrock. Saftet wie Atze, die Schreibe, weil diejenigen zu Wort kommen, die wissen wovon sie reden. Dieses Buch liest sich, so wie es war und wie es hätte bleiben sollen, bevor der Ausverkauf einsetzte. Aber der lässt ja, egal in welchem Business, nie lange auf sich warten.

Pätzug führt Interviews mit Fan-Urgesteinen von Dynamo, mit Dresdner Ultras, aber auch mit Polizeieinsatzkräften. Und, er stellt die richtigen Fragen. Das muss man erstmal schnallen, wie der Mann sich selbst zurückhält. Nirgends ein Werten oder Moderieren für die liebe Außenwelt, kein Reingewasche, oder wie auch immer geartete Rechtfertigungen für irgendwas, in Richtung “interessierte” Öffentlichkeit. Den interviewten Jungs ist und bleibt eh scheissegal, was irgendein Gutmensch von ihnen denkt. Sie gewähren einen Einblick in ihre Sicht der Dinge, verweisen auf die speziellen Unterschiede unter den einzelnen Fangruppierungen und beweisen einen erstaunlichen Sinn für Humor. Und, wie gesagt, sie offenbaren einen salsa-scharfen Riecher für alles, was nach kommerzieller Ausschlachtung stinkt.

Veit Pätzug gelingt mit diesem Buch etwas Einzigartiges: Er legt eine Chronologie der Geschichte der Dresdner Fankultur vor, welche über reine Spielstände, glorreiche Auf- und bittere Abstiege, sowie die schlichte Identifizierung mit einer Mannschaft über den Verkauf von Fan-Artikeln weit hinausgeht.

Die Geschichte eines Lebensgefühls.

In einem grandiosen FAZ Bericht zum vorliegenden Buch steht’s voll auf die Zwölf. Ich zitiere:

“Bücher von Fußballfans und über Hooligans gibt es viele. Besonders aufregend sind sie oft nicht. Hier wird aber eine Mentalitätsgeschichte von später DDR, Wende und wiedervereinigten Deutschland daraus – und es ist große, erschütternde Protokoll-Literatur, wie es sie seit den Siebzigern nicht mehr gegeben hat: Es ist das, was man hört, wenn man ein Stadion dröhnen hört – und wenn dann einer die einzelnen Stimmen herausfiltert und nach ihren Geschichten und Ansichten befragt.”
Zitat Ende.

Was ist das eigentlich?
Fan sein.
Sicher für jeden etwas anderes.

Für manche Leute der Teil ihres Lebens, welcher sich zu deutsch: Freizeit schimpft. Eine Sache unter vielen anderen, welche das Leben so ausmachen. Eben: gute Unterhaltung, vor allem – wenn’s gut läuft. Aufstieg, Sieg, und nur zwee’e vor ei’m, am Bradwurschtschtand …

Für andere bedeutet Fan sein: ALLES. Auch und gerade, wenn’s Scheiße steht. Und diese, in meinen Augen, wirklichen Fans, die werden dann aktiv, organisieren sich, entwickeln Rituale die nur sie verstehen, weil, nur für sie sind ‘se da! Sie schieben Ihre Mannschaft an, ja mehr noch: Sie kämpfen mit.

Zitat eines Dresdner Ultras aus dem Buch:
“Ich würde sogar behaupten, wir holen dem Verein auch den einen oder anderen Punkt, mit der Masse und Stimmung, die bei Dynamo herrscht. Ich denke, wenn die Spieler wie in München so eine schwarz-gelbe Wand hinter sich haben, dann wissen die auch, wofür die rennen. Gerade auch die jungen Spieler, die herkommen, sind schon wirklich fasziniert, wie’s hier abgeht. In den letzten 10 Minuten, wenn’s noch mal eng wird, sitzt da keiner mehr, da steht die ganze Hütte und brüllt. Ich denke die Jungs kriegen da nochmal ordentlich Wind – und der Gegner auch leichte Beklemmung im Darmbereich.”
Zitat Ende.

Da haben wir’s wieder: “Darmbereich …”, zieht sich heute scheinbar durch den ganzen Text, dabei ist von ”brauner Soße” noch nicht mal die Rede.

Zurück zum Fan sein.
Fan.
Sein.
Teil von “etwas” sein.

Letztendlich, gehts um Zusammenhalt. In guten und in schlechten Zeiten. Kannst du eigentlich auch mit deiner Frau haben, steht ja so im Ehegelübde, is’ aber äußerst selten. ODER, in einer Band: Das ist der blanke Wahnsinn, da, kenne ich mich aus. Die Beatles haben mal,  angesprochen auf ihren Erfolg, so geantwortet: “Weil wir vier waren!”

Dieses Gefühl einer verschworenen Gemeinschaft, findest du auch unter Soldaten im Kampf. DIE kämpfen nicht für das Gesülze ihrer Generäle oder irgendwelcher, schön im trockenen sitzenden Politiker, die pausenlos von einer ganz großen, und natürlich immer gerechten Sache faseln. Nein, sie kämpfen für den Mann neben sich, an ihrer Seite, für ihre Einheit, die Kompanie.

Irgendeinen Sinn muss das Leben doch haben …
Für viele junge Leute in Dresden, hat es aber schlichtweg keinen.

Jobs sind dünne gesät, ohne Kohle bist du draußen. Wenn du auch noch’n Querkopp bist, nicht brav und geräuschlos funktionieren willst, ja, am Ende noch etwas wirklich wildes in dir hast, dann kriegste die rote Karte und kannst maximal zum Arschamt schlurfen …

Was? Ist doch gar nicht so…?  Es liegt an jedem selbst? Jeder ist seines Glückes Schmied? Alles klar, Friendo.

Schon mal dran gedacht, das’n durchschnittlicher Zwanzigjähriger manchmal einfach keinen Bock auf Differenzierung hat? Für den zählt das gottverdammte Lebensgefühl hier, und das ist für die meisten Kotze.

Also suchen Sie sich was. Was ihnen gehört. Gleiche Interessen, gleiches Ziel, verschworene Gemeinschaft, und fertig is’ die Laube. Nenn’s ‘ne Family, wenn du so willst. Und diese Familie, die wird dann auch verteidigt.

Und für so manchen jungen Kerl im Osten, der immer nur hört, dass er das und das nicht hat, oder so und so scheiße is, bedeutet es noch was anderes: In der Energie eines Schlages mit der Faust, mal für ‘ne Sekunde wenigstens, frei zu sein! Selber zu entscheiden, ob’s auch paar zurück in die Backen gibt.

Kannst DU alles finden wie du willst, soll der Staat doch die Jugend im Osten endlich mal fördern, gern auch die sogenannte Unterschicht in Prohlis und Gorbitz, und nach ‘ner Weile mal wieder ’n paar Interviews mit der Bullerei zum Thema Jugend und Gewalt führen, da wird der Zusammenhang dann sicher von irgendeinem Soziologen völlig neu entdeckt werden und der darf dann nach Frankfurt am Main zum Kongress fliegen …

Wem die soeben angerissenen Zusammenhänge weiterhin als zu simpel wiedergegeben erscheinen, dem pack ich’n Nachschlag Klartext drauf, allerdings in Schleifen, ich muss mich ranrobben:

Thema: Verherrlichung von Brutalität, hemmungsloses Ausleben von körperlicher Gewalt usw.

Auftritt:  Der erlebnisorientierte Fan. Im Buch explizit darauf eingegangen, in dem Abschnitt über einen gewissen Samstach Anno 2002 …

Mist, es bleibt leider simpel und einfach, siehe auch:

Aggressionspotenzial. Das is’ drin im Menschen. Muss manchma’ raus.

So wie ficken wollen.

Männer gehen seit Jahrtausenden zu Frauen und bezahlen dafür, wenn die Ute keinen Bock mehr hat, oder noch schlimmer: es vielleicht gar keine Ute (mehr) gibt …

Damit das klar ist: Zur Prostitution gezwungene Frauen: Für Freier wie Zuhälter – bitte ein kräftiger Tritt in die Eier! Hingegen, freiwillig als Prostituierte arbeitenden jungen Damen gebührt, und zwar jeder einzelnen anteilig, der fucking …, oder besser, genau: der Fick-Friedensnobelpreis. Wird nie einer rausfinden, wie viele Vergewaltigungen die Ladys tagtäglich so verhindern.

Und so isses auch mit dem Gekloppe:

Mit der Gegenseite, welche auch Bock drauf hat, ‘ne prima Sache. Natürlich nur solange die Dynamo-Fans die Oberhand haben …
😉

Kleiner Scherz. Aber apropos umnieten: Unbeteiligte sollten definitiv heil bleiben, weil, hm, das sind, äh …, wie der Name ja sagt: Unbeteiligte.

Bleiben noch – die Bullen.

Niemand wird gezwungen, z.B. Fahrkartenkontrolleur zu werden. Und, nun ja, zum Bereitschaftspolizisten unter dem verehrten Herrn Markus Ulbig, muß man eben auch ein bißchen geboren sein. Etwas von einem Krieger, sollte da im Genpool schon herummäandern. Und manchmal, da gibts dann eben auch mal wat uff’n Helm.

Am Ende läufts darauf hinaus: Wer sät, wird ernten.

“Don’t take your gun to town” von Johnny Cash, erzählt in klaren Worten die alte Geschichte: Wer das Messer und die Knarre zieht, oder in DD Steine gegen Einsatzkräfte schleudert, der kann eben auch sein Gebiss einbüßen. Dann sieht er halt scheiße aus, und die Sandy aus Prohlis geht lieber mit Ronny mit.

So, gegen Ende das Rad wieder kleiner gedreht, meistens ist es doch einfach mal:

Provozieren!

Auf den Fahnen riesengroß: ELB-KAIDA!
BRUTAL FANS – DYNAMO DRESDEN!

Geile Scheiße …!

Die Medien, diverse Schöngeister und der Freizeit-Fan –  wittern allesamt tiefere Bedeutung, politisch zutiefst Inkorrektes.

Böse, Böse …

Dabei is’ es manchma’ einfach Fun, Alta!

D’NAAMO!!!!

Dynamo.

Für mich: zusammen mit meinem Sohn Al MDR Info Direktübertragung hören. Schreien, wenn die siegen! Leiden, wenn nich’.
In jedem Falle Mitfiebern.
Nicht dazuzugehören? Kein Problem.

Die Welt von Schwarzer Hals, Gelbe Zähne is’ nich’ meine Welt.

Hab meine eigene, die der Musik und des Schreibens. Das Brennen aber, für etwas zu brennen, sei’s für was auch immer, das macht den Unterschied, in einer immer faderen, beschisseneren Welt, in der es nur noch um Besitz zu gehen scheint.

Veit Pätzug hat ein Hammerbuch vorgelegt.
Der Mann sollte mal Kaltblütig von Truman Capote lesen, und einen guten Roman schreiben. Frauen und Männer mit Eiern, ob nun innen oder außen dran, die braucht das Land!

Heiko “Hesh” Schramm

Zur kompletten Sendung.

Studio B – HESH on Truman Capote

hesh on truman capote

Werk und Mensch,

Meisterschaft und Leben.

HESH rezensiert Music for Chameleons von Truman Capote.

“Werk und Mensch, Meisterschaft und Leben”

Zum Werk von Truman Capote

INTRO

“Zeus ließ Prometheus fangen und in die schlimmste Einöde des Kaukasus schleppen. Er ließ eine schwere Kette schmieden, um ihn an einen Felsen zu fesseln. Ohne Speise, Trank und Schlaf, musste Prometheus dort ausharren, und jeden Tag kam der Adler Ethon und fraß von seiner Leber, die sich zu seiner Qual immer wieder erneuerte, da er ein Unsterblicher war.”

(Prometheus/ Auszug: Wikipedia)

Es gibt Menschen, die ein Leben lang unter dem Körper leiden, an den sie gebunden sind. Zwischen Schmerzschüben eingezwängt wie in einer Felsspalte, vegetieren sie dahin. Erlösung verpricht nur der Tod. Keinen Penny wert für den, der leben will. Der Quacksalber fragt: “Hatte einer ihrer Vorfahren vielleicht die Syphilis?” Das Gerechtigkeitsempfinden der Biologie, gleicht dem des Wetters und der Liebe. Ursache und Wirkung? Vergiss es. Diese Gesetzmäßigkeit passt besser auf die Schlachtfelder und die übrigen Bereiche des Human Entertainment. Ein bunt flackernder Zirkus der Illusionen, auf der Suche nach Trost durch Erklärbarkeit, alles nur, um sich an den jämmerlichen Resten der eigenen Handlungsfähigkeit festzukrallen. Natur als Zellstruktur, freie Radikale als Schicksal. Oder doch nur das launische Gehabe von Gaia, und Zeus steckt den Kopf in den Sand? Was auch immer. In jedem Falle ungefragt. Zugewiesen. Auch Generäle und Milliardäre verecken an Darmkrebs.
Irgendwann wappnet sich die gepeinigte Kreatur gegen die nächste unbestellte Lieferung. Sie empfängt den frisch in der Hölle erhitzten Nachschlag aus Qual und Pein, steht es ein weiteres Mal durch; oder aber, sie entscheidet sich den Schmerz wegzuschicken. Einfach ist das nicht: Nur in friedlicher Koexistenz mit ihrem Wirt geht es Schmerzen gut. Aufgrund dieser Symbiose existieren sie. Also machen sie vieles mit. Sicher jauchzen sie vor Freude, wenn du ihnen jedes noch so kleine Raunen von den glühend heißen Lippen abliest. Aber sie sind auch nicht böse, wenn du versuchst sie zu ignorieren. Schmerzen wollen helfen, dich und deinen Körper miteinander zu versöhnen. Das ist ihr Job. Wenn diesen Triggerpunkten des Nervensystems eines Tages aufgeht, dass es nicht passen will, dass deine widerspenstige Seele niemals klein bei geben wird, sich mit einem Stück Scheiße als Produkt beliebig dysfunktionaler Genetik zu arrangieren; sind sie meist längst viel zu vernarrt in ihre Macht über dich, und genießen ihr Eigenleben.

Nach meiner Erfahrung, musst du den Schmerz nah an dich heranlassen, um ihn dir vom Hals zu schaffen. Du solltest auf kalte Art wütend sein, deine Stimme darf nicht zittern:

Ich bin der Boss. Du bist es nicht. Und jetzt verpiss dich”.

Zusätzlich, kann ein bißchen Voodoo Marke Eigenbau, bei all dem hilfreich sein. Ich bin für harte Stunden auf visuelle Weise vorbereitet. Ich trage Tätowierungen, die für jene Themen und Kraftfelder stehen die mein Leben begleiten, und es mit Energie überziehen. Dick Hickock und Perry Smith, sind auf den rechten Unterarm tätowiert. Die bösen Jungs aus In Cold Blood, zu deutsch: Kaltblütig, dem großen Roman von Truman Capote.

Meisterschaft

Beginnen wir mit Gedanken zur Meisterschaft; ganz im Sinne des langen Weges zur Meisterlichkeit eines Schriftstellers, anhand von Truman Capote’s: Music for Chameleons.

Auf Seite 5 eine Widmung:
Für Tennessee Williams.
Auf Seite 7 das Inhaltsverzeichnis:

Römisch 1 fett gedruckt: Music for Chameleons.

Eine handvoll kurzer Storys, die um autobiograpische Erinnerungen – meist aus Capote’s Jugend – kreisen. Leichte, ohne schenkelklopfende Pointen auskommende, hingestrichene Bilder; eher wie erzählte Träume wirkend. In jedem Wort atmet die Kultur alten Südstaaten Adels: Der Blick zurück ohne Wehmut, wie die Augen eines Habichts auf diesen Zeilen, als tonlose Frage an die Gegenwart, ob zu erwartende Qualitäten in der Zukunft, die Mühe sich zu erklären oder, sich zu interessieren, überhaupt noch lohnen. Diese Rubrik, zugleich namensgebend für den ganzen Band.

An römisch 2: Handgeschnitzte Särge:

Ein Tatsachenbericht über ein Verbrechen in Amerika. In schmerzhaft spröder Sprache wird das weitverbreitete Fehlen der Barmherzigkeit unter den Menschen nicht etwa: angeprangert, sondern schlicht beschrieben. Aufgrund des Themas und der Art wie erbarmunglos beiläufig Capote den Fortgang haarsträubendster Ereignisse schildert, wird dieser Text die Zeit länger überdauern, als uns allen Recht sein kann. Pete Dexter oder der junge Donald Ray Pollock könnten diese Geschichte zum Anlass genommen haben, eines Tages in einen Grocery-Store zu schlurfen, und nach’n paar Round-Stic-Ball-Pens von Bic, und ‘nem Marble Composition Book zu fragen, oder, sich besser gleich eine alte Schreibmaschine der Firma ROYAL zuzulegen, auf einem einzigen Exemplar dieses Typs schrieb Mr. James Lee Burke von 1966 bis 1990 an seinen grandiosen Romanen …

Den Abschluss der dreiteiligen Gliederung bildet unter römisch 3., die Rubrik Konversationsporträts:

Eine ebenfalls, fast arglos anmutende Sammlung verschiedener Begegnungen Truman Capote’s, mit mehr oder weniger bekannten, und einer so richtig berühmten Person aus Funk und Hollywood: “Happy Birthday Mr. President …?

In der letzten Story des Buches, ist schließlich vom Ringen Capote’s mit der Verzweiflung am Leben selbst die Rede. Diese kleine Geschichte in Form eines Interviews, welches Truman Capote mit seinem imaginären, seinem anderen Ich führt, namens: “Wie siamesische Zwillinge Sex machen”, wirkt wie ein Resumé. Capote spricht in Andeutungen über seinen als schier endlos empfundenen künstlerischen Kampf. Er erwähnt die Dämonen seines obsessiven Wesens; im Zwielicht dieser Zeilen schimmern quälende Fragen um Schuld und die Angst vor der Sühne. An einer Stelle wird er deutlich, ich zitiere: “Ich bin Alkoholiker. Ich bin rauschgiftsüchtig. Ich bin homosexuell. Ich bin ein Genie!” Dieser verstörende Abgesang bildet mit seinen schmerzhaften Reflexionen eine Klammer bis ganz an den Anfang des Buches, und zwar noch vor die erste, bereits erwähnte, römische 1., für Music for Chameleons. Da steht ein kleines Wörtchen, fast wie verloren:

Vorwort. Das hat es in sich.

Hier wird der Leser sozusagen: eingestellt. Oder vereidigt? Truman Capote nimmt uns mit zu den Anfängen seiner Arbeit als Schriftsteller, beleuchtet Höhen und Tiefen seiner Karriere, und beschreibt die immer wieder neu entfachte Suche nach der perfekten Form der Sprache, in Zeit und Epoche. Capote ordnet es nicht direkt an, wie auch …, aber man hat das Gefühl, es wäre ihm recht, wenn der Leser all seine vorherigen Bücher bereits studiert hätte, bevor er mit der Lektüre von Music for Chameleons beginnt.

Capote’s Stil, sowie der dramaturgische Aufbau der einzelnen Storys, siehe auch: der Plot, ist unmöglich durch schlichtes Wiedergeben der Ereignisse zu vermitteln. Vordergründig passiert nämlich eigentlich: überhaupt nichts weiter. Kaum eine Story wäre überhaupt nacherzählbar. Es gibt keine wirkliche Handlung, in Form eines wie auch immer gearteten Spannungsaufbaus. In diesem Buch wird, wenn überhaupt, nur subtilst Position bezogen. Etwaige Wertungen sind mittels Auslassung bzw. Auswahl, ohne tendenzielle Brenngläser oder glühende Adjektiv-Gewitter, rein in der kristallinen Beschreibung der als real geschilderten Ereignisse enthalten. Es könnten Kapitel aus Capote’s Tagebuch sein.

Die Pointe:

Es liest sich wie die reine Lehre des Journalismus, als Kunstform.

So manche jener tapferen Frauen und Männer, welche heutzutage als JournalistInnen Tag für Tag darum kämpfen Qualität zu liefern, die trotz immer schlechterer Bezahlung immer wieder in die Spur gehen, um unseren Wunsch nach Information zu befriedigen – und damit unser aller Illusion befeuernd, ein Verstehen der komplexen Zusammenhänge dieser chaotischen Welt sei wenigstens im Ansatz möglich, könnte gar etwas ändern und sei daher erstrebenswert – aber auch diejenigen, die in diesem Haifischbecken irgendwann zum Zyniker mutierten, um unsere Nerven – und das Herz sowieso – mit Tonnen von Schmutz zuzukübeln: Sie alle sollten diese kleinen Geschichten lesen. Die Helden könnten neuen Mut fassen, weiter dran zu bleiben. Der Fatalist hätte die Möglichkeit im Selbstversuch herausfinden, ob er überhaupt noch zu beschämen ist. Dem Chefredakteur der BILD-Zeitung, gehörte das Buch – in der gebundenen Ausgabe – mit Schwung um die Ohren gehauen. Kein Zweifel, dass das nichts bringen würde, die reine Vorstellung fühlt sich gut an.

Music for Chameleons, wirkt wie ein Spiegelbild dessen, was es dem Autor im Moment des Warnehmens wert war, eins zu eins, festgehalten zu werden. Da bekommt Dennis Hopper’s Satz: ”Eines Tages wird ein Künstler nur auf etwas zeigen und sagen: “Das ist Kunst!”, noch einmal einen ganz eigenen Dreh. Capote hatte entschieden, dass das Leben selbst im Mittelpunkt dessen stehen soll, was uns hinter Bucheinbänden mit seinem Namen darauf, entgegenspringen soll.

In der Kombination mit der Wahl seiner Themen und lnterviewpartner, enstand so große Literatur. Truman Capote spricht mit Verbrechern, Filmstars und einigen, ziemlich drallen, afroamerikanischen Ladys aus New Orleans. Und die reden alle mit ihm, weil sie das Gefühl haben, dass sie für ihn nicht einfach nur Material, sondern Teil der einen großen – unserer aller – Story sind, von Suche und Zweifel getrieben, mit der Sehnsucht im Herzen, irgendwann einmal gefunden, und ja, gehört zu werden.

Capote verwaltet es. Behutsam, meisterlich dezent, weil er es anerkennt. Das spüren all diese Menschen, und wir: Erfahren von Ihnen.

Truman macht sich nicht gemein. Er richtet nicht. Die Schuld der Verbrecher ist erwiesen. Capote stellt die Frage nach dem Warum neu. Und zwar, indem er sie explizit nicht stellt. Anstelle dessen sagt er: “Erzähl mir deine Geschichte.”

Da kommen dann keine Ausreden, sondern bisweilen einfach das Wesen des Bösen zum Vorschein. Und manchmal wird ein Lebensweg ins Licht gehoben, der uns die Stimme Billie Holidays, mit einem ihrer dunklen, stillen Songs herüberweht, brüchige Melodie aus kratziger Kehle, als Soundtrack zur Erkenntnis: Mein Gott, es hätte auch ganz anders laufen können …

Damit hält Capote der Gesellschaft den Spiegel vor, lässt sie nicht davonkommen, in weiten Teilen meistens ungeschoren, immer nur mit dem Finger auf die Verlierer des Systems zu zeigen. Heutzutage ist die Pervertierung der medialen Fressmaschine auf ein historisches Maß angeschwollen. Der Müll ragt in den Weltraum, kein Wally und seine Eva in Sicht. Ein Mann wie Truman Capote, würde sich einen Wolf in den Nervenzusammenbruch arbeiten, und irgendwann Gedichte über Treibsand schreiben …

Es versendet sich, you know?!

Truman Capote ahnte diese Entwicklung wohl voraus, wenn er den Journalismus als Kunstform als das Thema beschrieb, was ihn in seinen letzten Jahren am meisten beschäftigte. Dieser Fakt, war ihm spätestens seit The Muses Are Heard aufgegangen. Die Umsetzung jedoch, die vielfältige “Klaviatur des Lebens” auf reine Art wiederzugeben, erforderte hartes Ringen an sich selbst. Die innere Einstellung des Autors seine Geschichten betreffend, befindet sich quasi innen, in der Sprache. Kein brillieren um seiner selbst Willen. Weniger, ist Capote alles. Für die meisterliche Umsetzung dessen steht, wie später noch Die Stimme aus der Wolke – der so vielsagende Titel, wie auch das Buch selbst: Music for Chameleons.

Aus dem Leben heraus – werden diese Geschichten erzählt, in ihm, werden sie gelebt. Somit zur anderen Seite: dem Leben eines Schriftstellers.

Leben

Nun, das Leben, das kann grausam sein. Truman Capote hat bezahlt. Wer sich nicht hinter Synonymen und Kaffeehaus-Themen versteckt, steht mit Klarnamen auf der Lichtung, und mit seinem Arsch im Feuer. Jack Kerouac hat seinen Freund Neal Cassidy als Dean Moriarty verbraten. Für ein Buch, welches Tausende von Kids in Daddy’s Chevy auf einen Trip durch das weite Land verführte, unterwegs, auf der Suche nach sich selbst. Neal ist beim Dean-Moriarty-spielen, in der Wüste an einem Bahndamm verdurstet. Jack, hat sich totgesoffen. Was der gemeine Shitstormer heutzutage wegen zu kleiner Hodengrösse anders löst, galt sehr wohl für Truman, denn auch Schwule können Männer sein:

Wenn du in einer Geschichte den Namen einer lebenden Person erwähnst, muss dein eigener auch darunter stehen. Und so war er dazu verdammt, sich die Hinrichtung von Dick und Perry zu wünschen, um seinen bahnbrechenden Dokumentarroman, Kaltblütig, zwangsläufig nun selbst ziemlich kaltblütig, zu Ende schreiben zu können. Der anschließende, schriftstellerische Siegeszug war gigantisch. Allerdings wohl vergleichbar mit einem Flugzeugabsturz, den man nur knapp überlebt. Man wird zum Helden gemacht, zum Sieger über den Tod erklärt. Die Schäden für die Seele jedoch, sind lebenslang spürbar. Und die Gesichter derjenigen, welche den Tod fanden, bleiben allgegenwärtig.

Perry Smith nannte Truman Capote seinen Freund. Jener reagierte geschmeichelt wie kokett mit dem Ausspruch: “Es ist, als hätten wir im selben Haus gelebt, nur das er irgendwann durch die Hintertür hinausging und ich durch die Vordertür.

Er hatte keine Ahnung, was auf ihn zu kam. Einmal Capote’s Leben nach Kaltblütig, in Schlagworten gefällig?

Körperliche wie kreative Erschöpfung. Schreibhemmungen: acht lange Jahre keinerlei Prosa-Veröffentlichungen, erfolglose Drehbücher, Affairen, Alkohol, Drogen. Mehrere Gefängnisaufenthalte …

Ganz ohne Preisschild um den Hals, ist im Leben nur die Liebe. Aber Liebe ist selten. In der Kunst wie im Leben bestimmt das Maß der inneren Gelassenheit den Grad der Unversehrtheit. Die Natur eines Menschen wirkt sich in denjenigen Lebensbereichen welche seiner Einflussnahme unterliegen, auf die Höhe des zu zahlenden Preises aus. Den Rest nennen wir Schicksal.

Ein Beispiel: Attentats-strategien, werden von unterschiedlichen Archetypen bestimmt, sie seien hier anhand von zwei grandiosen Filmen beschrieben:

Edward Fox in: Der Schakal. Ein sauberer, gut vorbereiteter Job aus größerer Entfernung, ohne Risiko für das Leben des Killers.

John Malkovich in: In the Line of Fire. Hier geht der Killer so nah ran, dass alles auf ein reines Selbstmord-Kommando hinausläuft …

Die persönlichen Konsequenzen, die ein Künstler für sein Streben nach Wahrhaftigkeit und Perfektion zu tragen hat, sind allein sein Problem. Der Welt war und ist das egal. Sie ist dafür nicht verantwortlich. Daran ändert weder Ruhm noch Reichtum, in anderen Fällen: unentdecktes Genie, oder lebenslange Armut etwas. Was zu der Frage führt:

Sieht der, sich und seine Umwelt pausenlos kaputt-twitternde Bret Easton Ellis, der Schöpfer von American Psycho, nur durch eine Laune der Natur haargenau so aus, als wäre er der, erstmalig von einem Mann entbundene, verlorene Sohn von Truman Capote? Und müsste sich Truman Capote, heute lebend, in einem Zustand verblassenden Ruhmes und gesellschaftlicher Ächtung – ähnlich wie damals nach Veröffentlichung seines die inneren Geheimnisse der High Society enthüllenden Fragments Erhörte Gebete – vielleicht die selben Worte des Psychiaters von Mr. Ellis gefallen lassen:

Bitte, langweilen Sie mich nicht! Die Probleme Ihrer Jugend sind heute nicht mehr zu klären! Es ist zu spät! Stattdessen: Beenden Sie Ihren Roman! Artbeiten Sie hart, und lesen sie nicht 80-mal pro Tag Twitter! Vor allem: Man up! Seien Sie ein Mann!

Capote könnte hier zynisch und krötenhaft lächelnd entgegnen: “Well, ma Boy, dieser Gedanke ist mir tatsächlich noch nie den Sinn gekommen …”

Lustig?

Nicht ganz so lustig: Ellis’s und Capote’s Werk ist unangreifbar, beide Herren sind, bzw. waren, trotzdem jederzeit leicht waidwund zu schießen, in leidlich verborgener Verletzbarkeit. Das solche Angriffe, damals wie heute, oft von Leuten mit dem geistigen Niveau von Süßwasserlurchen erfolgen, scheint unerheblich zu sein. “Fishing for compliments”, lässt wohl auch die Genies nicht kalt.

Zum Schluß:

Schlicht und klar wie ein Gebirgsbach…” wollte Truman Capote die Sprache von Music for Chameleons gestalten, kein Wort zu viel sollte es sein. Diese Storys stehen für sich, aus dem Leben praktisch herausgeschrieben, in der Kunst für ewig festgehalten. Capote wollte es uns trotzdem vorher erklären, das Buch im Kontext seines bisherigen Werks verstanden wissen. Und den Leser zusätzlich, in der letzten Story, sehr intim ins Bild setzen, wovon zu berichten er sich in Music for Chameleons auf jeder Seite verkniffen hat: den Höhen und Tiefen seines Lebens.

Er stellt es einander gegenüber: Werk und Mensch, Meisterschaft und Leben. Und, er verbindet es.

Der einzig gangbare Weg, von Klingen gesäumt.

Heiko Hesh Schramm

Zur kompletten Sendung

 

God Of Bitumen

Photo by Vandy

Photo by Vandy

God of Bitumen

He felt like a preacher man
Sent from the God of Bitumen
Spent some dough and a warm word
on the indigent
He felt like a preacher man
in his black suit, walking by a garbage can

Just another clown
trying to be a preacher man
but when nobody looks, he takes a sneaky glance
at some lady’s boobs
just another clown
trying to be a preacher man
always has luck and enough money
for booze and another bunny

He looked like a preacher man
but he just fled those
who needed him the most
He looked like a preacher man
empty inside, on a diet of crackers and wine

Just another clown
trying to be a preacher man
but when nobody looks, he takes a sneaky glance
at some lady’s boobs
just another clown
trying to be a preacher man
always has luck and enough money
for booze and another bunny

HESH & Fran

Listen to God of Bitumen

Studio B – HESH on Cormac McCarthy

Photo by Mirko Glaser

Photo by Mirko Glaser

Die Wahrheit hat keine Temperatur.

HESH rezensiert The Counselor von Cormac McCarthy.

“In Mexiko verstanden sie, daß Würde zu den Regeln für das Sterben gehörte.”
David Ferrie in Libra von Don DeLillo

“Die Wahrheit hat keine Temperatur.”
Malkina in …

 The Counselor von Cormac McCarthy

 

In seinem literarischen Werk, verweist der Mann in beeindruckender Regelmäßigkeit auf die verstörende Tatsache, dass es den Bezug zwischen Gut und Böse – so wie wir ihn aus den Märchen kennen – in Wahrheit nicht einmal in den Märchen gibt. Mr. McCarthy, der mit Joseph, dem berüchtigten Kommunistenjäger, immerhin den Nachnamen gemein hat, rettet zusammen mit James Lee Burke, Pete Dexter, Donald Ray Pollock und zuletzt Nick Pizzolatto, das Erbe Jim Thompson’s hinüber, bis in unsere Gegenwart.

Über Truman Capote schrieb ich in einem Essay zu Music for Chameleons: “Er beschreibt was passiert, aber er wertet es nicht.”  Immerhin entschied Capote, worüber er schrieb. Auch in der Auswahl, kann eine Wertung liegen.

Die Geschichten Cormac McCarthy’s lesen sich, als hätten sie ihn, den Autor, auserwählt. Biblisch, endgültig kommen sie daher, als wären sie lange vor ihm, als dem Erzähler, in uns allen bereits angelegt.

The Counselor

Das neue Buch ist in Form eines Drehbuches erschienen. 120 Seiten – viel zu sagen. Wo der Autor sparen kann, schreibt er schlicht die Bilder hin. Du siehst jede Einstellung. Auch: Es gibt Songs, die sollte man laut hören – McCarthy liest sich höllenhündisch, wenn es draußen heiß ist.

Als das Buch in den Innenradius trat, war der erste Gedanke: ‘Krass, die selbe Geschichte wie in No Country for Old Men. Schuld und Sühne. Ursache und Wirkung – du machst einen Fehler – und musst bezahlen. Mit allem, was du hast …’.  

Mein Freund Mr. Glaser wies auf den Irrtum hin: “Nee Mann, da geht’s um Komplett-Verarsche!”

Der Counselor steht in dem Ruf, das Richtige für die falschen Leute zu tun. Ein Counselor ist zu deutsch: Ein Anwalt. Näher an der Wahrheit ist das Wort Rechtsbeistand, frei nach der Devise: “Ich gewähre dir Beistand gegen das Recht, aber denk daran, meine Anzüge sind teuer, Buddy”.

Alles beginnt mit Bettgeflüster. Verbalsex unter weißen Laken. Der Counselor fliegt voll auf Laura. Also fliegt er nach Amsterdam, der Verlobungsring soll schließlich mit Diamanten besetzt sein.

Der Diamantenhändler ist ein sehr spezieller Kauz: Er liebt diese harten Gallensteinchen von Mutter Erde, aber er fürchtet sie auch. Vor allem, was Menschen in deren Bann zu tun bereit sind. Wenn man seine Zeit auf Erden in ihrer Nähe verlebt und von ihnen abhängig ist, bekommt man sein Lied gesungen –  mitleidiges Gelächter, zieht von hohen Klostermauern herüber. Illusionslos und müde, von den Mysterien des Lebens elektrisiert und nie wirklich vom Haken gelassen, war er mit den Jahren zu einem weisen Mann geworden. Schlicht, weil er überlebt hatte und zu klug war, um sich selbst in die Tasche zu lügen.  Nun schwebt der Diamantenhändler über den Dingen und seiner Kasse, ein Orakel im Spannungsfeld zwischen Ewigem und Vergänglichen, und entscheidet sich für zweierlei: Er warnt den Counselor, und verkauft ihm das bläulich glitzernde Prisma, der Counselor argumentiert überzeugend, er müsse es unbedingt haben.

Zurück in LA, nimmt die dunkle Schöne des Counselor’s Heiratsantrag an. Auf einer Party wirft Drogenkönig Reiner dem Counselor vor, seine Position nicht genügend auszunutzen, wenn er seine Position schon ständig ausnutze …

Alles klar und in die Hände gespuckt: Der Counselor trifft sich mit einem Mann namens Westray, um die Details der finanziellen Beteiligung an einem Drogendeal durchzugehen. Westray rät ihm von dem Geschäft mit der mexikanischen Drogenmafia ab. Obwohl es, als Mittelsmann von Reiner, eigentlich sein Job ist, genau das Gegenteil zu tun. Kein Problem – der Counselor geht auf den Deal ein.

Ich blätterte zurück. Las es noch einmal. Wie kleine Risse von scharfkantigen Metallspänen auf altem Zeitungspapier, lagen Widersprüchlichkeiten über diesen knappen Zeilen. So als könnten diverse Beteiligte noch zurückziehen, sich anders entscheiden, und die Finger davon lassen. Bald darauf fällt das Kind, ich meine natürlich, der Counselor, dann doch durch den Rost des Gezeitenstroms: Nun läuft alles folgerichtig. Bis zum bitteren Ende.

Die Drogenladung kommt abhanden, das Kartell macht den Counselor verantwortlich. Reiner wird ermordet, später auch Westray. Letzterer auf eine Weise, welche aufgrund ihrer fantasievollen, sowie unfassbar bestialischen Art das Zeug dazu hätte, a.)  Filmgeschichte zu schreiben, und b.), Mr. Tarantino vor Neid mal etwas Farbe auf seine blassen Wangen zu zaubern.

Irgendwann stellt sich heraus, dass Malkina – Reiner’s nymphomanische wie skrupellose Freundin – eine Intrige gesponnen hat, um sich die Drogenlieferung samt der dafür gezahlten Kohle, also quasi alles, unter ihre langen Fingernägel zu reißen …

Laura, die Verlobte des Counselors, wird vom Kartell entführt. Trotz verzweifelter Bemühungen, scheitert er darin sie zurückzubekommen. Die junge Frau landet tot auf der nächsten Müllkippe.

Der Counselor sitzt unterdessen in einer beschissenen Gegend, in einem noch beschisseneren Hotelzimmer, und darf sich ein Snuff-Video mit Laura in der Hauptrolle reinziehen. Die Handlung besteht – ganz wie es sich für solch ein Filmchen gehört – lediglich darin in farbenfrohen Bildern zu schildern, wie die große Liebe seines Lebens erst genüsslich gefoltert und anschließend wie ein Stück Vieh abgeschlachtet wird.

Der Treppenwitz: Der Counselor wird nicht umgebracht. Es ist der vielleicht grausamste Schachzug und die ultimative Verhöhnung. Er soll den Verlust spüren. Wie kann das Spaß machen, wenn er tot ist? Der Capo eines Drogenkartells kauft sich, was er haben will. Alles, was für Geld zu haben ist. Aber das ist ja nicht … alles. Eine ganz spezielle Art morbiden Humors, kann da manchmal zu einem essentiellen Teil des Unterhaltungsprogramms werden …

“Das Entscheidende ist nicht, dass man untergeht, Counselor. Sondern was man dabei mitnimmt.” Die Worte Westray’s, bei ihrem ersten Treffen.

Bis auf Mrs. MG, M für Malkina, G für G-Point, erscheinen die handelnden Personen in The Counselor eher wie Gehandelte. Fallend oder gefallen. Mausi & Dead. Einige von ihnen haben den Mut sich mitzuteilen, sie halten fest an der Illusion, jemandem vielleicht noch etwas mit auf den Weg geben zu können. Sie selbst sind viel zu lange dabei, und des Spiels überdrüssig. Diese tragischen, aber auch seltsam frei wirkenden Figuren, sehen das Nichts, hinter all dem bunten Geplapper von einem Sinn.

Am Ende – ist es Malkina. Es war immer Malkina. In einem Büropalast aus Glas und Stahl irgendwo in Europa. Hauchdünne Laptops, ihre wunderschön manikürten Hände transferieren die Millionen für die ganze Nummer – auf ihre Nummernkonten.

In einer der letzten Szenen, sitzt sie mit einem Mann mit zu viel Pomade im Haar in einem Restaurant. Sie mustert ihn wie die Katze ein Küken, welches noch nicht fliegen kann. Sie denkt daran, nach China zu gehen, dort in großem Stil zu investieren. Ihr Appetit ist ungebrochen.

Mr. McCarthy schreibt ein Drehbuch, Hollywood schickt einen seiner smarten Jungs vorbei. Die eisig geradlinige Verfilmung von Ridley Scott buhlt nicht um Wohlwollen. Das Bild von Laura’s Überresten als Müll auf der Müllkippe, lässt trocken schlucken. Spätestens jetzt ist klar: Die meinen es ernst. Nix mit Oscar, nennenswertem Popcorn- oder später, reißendem Blue-Ray-Umsatz. Das Wunder einer Herzensangelegenheit. Wow: Kunst! Who cares?

Beleidigte Kommentare ließen nicht auf sich warten, es war die Rede von: “Philosophisch überfrachteten Dialogen des Pulitzer-Preisträgers Cormac McCarthy. Der Film wäre anstrengend, selbst Mr. Scott hätte seine Mühe gehabt, daraus einen spannenden Handlungsverlauf zu zimmern …”.  

Sicher, die sparsame Beschreibung der Szenerie, die Wortkargheit von Killern, Scheiße-Lastwagen-Fahrern und einer ganzen Armee von  verschwitzten “den fucking Job erledigenden Narcotraficantes”, steht auf den ersten Blick in krassem Gegensatz zur gebildeten, reflektierten Sprache der Handlungsträger, für die das Studio einen Hollywoodstar springen lässt. Als da wären: Cameron Diaz als Malkina, Michael Fassbender als der Counselor, Penelope Cruz als Laura, ihr Ehemannn im wirklichen Leben Javier Bardem als Reiner, sowie Brad Pitt als Westray. Bruno Ganz ist in einer grandiosen Nebenrolle als Diamantenhändler zu erleben. Ob auch Mr. McCarthy höchstselbst irgendwann für die Besetzung dieser Figur in Frage kam? Google verweist auf Lee Child und lenkt vom Thema ab.

Irgendwann läuft der Abspann. Ich will raus in die Nachtstadt, ab ins Blue Note, wo die Frauen warm und weich, von mir aus widerspenstig, oder klar – die Oberhärte, nicht interessiert sind. Hauptsache, sie sind am Leben.

Wir. Die. Ich – trinken, schweigen, glotzen.
Nachdenken.
Der vergebliche Versuch damit aufzuhören und endlich runterzukommen …

Wir wissen, dass es wilde Tiere gibt, da draußen. Widerwillig gestehen wir uns ein, wie gottverdammt zerbrechlich wir sind. Man legt sich nicht mit den Falschen an. So wirkt alles friedlich. Bis zu jenem Tag X, wo man gestellt wird. Wo einem nicht erspart bleibt, für ein paar Überzeugungen, oder wenn man keine hat, auch einfach so um das nackte Leben kämpfen zu müssen: Weil man es sich nicht mehr aussuchen kann.

Was immer du in diesem Moment über das Wesen des Bösen daher rezitieren kannst, nützt dir einen Scheiß. Deine Fäuste müssen im Training sein. Du darfst nicht zögern, deine Zeit nicht mit der Hoffnung vergeuden, dass es vielleicht eine Chance gibt, einfach so davon zu kommen. Weil du vor zirka drei Jahren mal einer Omi über die Straße geholfen hast, verblendet von der Vorstellung, eine Art Vorsorge treffen zu können. Als existiere eine Balance zwischen Geben und Nehmen. In der Hoffnung, der Gott, an den du nicht einmal glaubst, würde dich als einer von den Guten zu schützen wissen.

Vergiss es.

Die Natur funktioniert nach Ursache und Wirkung, die Natur des Menschen nicht, sie ist unergründlich. Unergründlich dunkel. Wir reden uns ein, dass es nicht so ist. Wir beruhigen unsere Nerven, gehen einkaufen, leben einfach weiter.

Das freie, sich um nichts und niemanden einen Dreck scherende Radikal, lauert in jedem Einzelnen von uns. Die dunkelste Hölle. Die reine Herrlichkeit. Zweifel, Wut, Aggression – manchmal Liebe und so viel Hass: Gib mir mehr! Tanz den Mussolini! (DAF), Fütter mein Ego! (EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN).

Grippe, Pest und Cholera: Was bringt dich wann, wie und auf welche Weise um? Und wie lange dauert das?

Was weiß denn ich …

Oktober 2009, ein Campground im Mesa Verde Valley in Colorado, USA: Eine offene Anlage, eine nicht verschlossene Tür, Heshie nackt, planschend in heißem Wasserdampf. Was wäre, wenn jetzt ein schwarzer Camarro in die Einfahrt …?!
Wehrlos im HOT TUB und – BLUBB.

Point Blank, nach dem Roman The Hunter von Richard Stark bzw. Donald E. Westlake, ist ein Gangsterfilm nach meinem Geschmack.

Lee Marvin brilliert in der Hauptrolle, der Mann ist verarscht worden, nun nimmt er Rache. Die Gangster sind böse, die Frauen schön. Smarte Jungs verschwenden keinen Gedanken daran, auf die Ladys zu zählen, wenn es gefährlich wird. Alle anderen üben sich in Mord und Totschlag, siehe auch: Eifersuchts- und Besitzstandswechseltragödien. Sicher, es wird eng für die Dauer der Einzahlung deiner Krankenkassenbeiträge. Vielleicht fühlt sich alles ein wenig billig an, am Ende wirkt es erfrischend klar und nachvollziehbar.  Die guten alten Zeiten.

Das Böse, das gab es auch damals schon. Seither ist die Welt um einiges komplizierter geworden. Heutzutage geht die Sache anders aus. Zumal, wenn eine smarte Bestie wie Malkina mit von der Partie ist. Cormac McCarthy erzählt es uns, in: The Counselor.

Wie sagte der Diamantenhändler?
“Im Grunde genommen, beschreibt alles was man über einen Diamanten sagen kann, einen Makel. Der vollkommene Diamant bestünde schlicht und einfach aus Licht.”

Cormac McCarthy, ist ein leuchtender Stern über Texas.

Heiko Hesh Schramm

 

Zur kompletten Sendung.

Studio B – HESH on J.K. Rowling

CC-Richard Leo Centner-Contributetd by courtesy of Teri & Fluffy Hays CentnerC-SA

CC-Richard Leo Centner-Contributetd by courtesy of Teri & Fluffy Hays Centner-NC-SA

HESH rezensiert Ein plötzlicher Todesfall von J.K. Rowling.

 

Es gibt Menschen auf der Welt, die sich einen Namen gemacht haben. Einen Namen, den die Leute kennen.

Von bestimmten Ereignissen haben alle etwas gehört. Wie Zigarettenrauch, schwebend durch den Sprachgebrauch. Losgelöst von Inhalt und Thematik, oder der Werbestrategie, der sie entsprangen – einmal abgesehen von Geniestreichen der Marke Raider heißt jetzt Twix –  ähneln sie den rund hundert Gesten, auf die wir uns verständigt haben, ohne augenblicklich durchzudrehen. Begeisterung, Ablehnung oder gar Panik – ein Wort wird zum Begriff, wenn die Aufregung sich legt.

Karl Lagerfeld und Katrin Göring-Eckardt, Ebola oder der 11. September, Tony Blair – der Meister des etwas anderen, des WAR- Selfie,  oder Jens Weißflog, der einst sooo weit über all das Weiß flog. Nicht zu vergessen natürlich, Karl Lagerfeld, und immer und immer wieder Katrin Göring-Eckardt: Morgens, mittags und abends, im Deutschlandfunk oder wo auch immer – wer die Stille nicht ertragen kann, der wird ihr nicht entgehen.

Der Name einer gewissen britischen Bestsellerautorin war mir also durchaus ein Begriff. Aber ich werde bald 42, mein Sohn ist neun, irgendwo dazwischen verläuft wohl das ideale Alter für eine gute Zeit mit Harry

Vor einigen Wochen las ich zufällig ein Interview mit Miss Rowling im Spiegel. Das Foto der Autorin war dem Text mehr als ebenbürtig: Mich traf der taxierende Blick einer Frau, die viel gesehen hat und immer noch neugierig ist. Die cremefarbene Bluse, die Wahl des Farbtons ihrer Blondierung, ja, allein wie ihre Haare fielen, all das bewies dezenten und vor allem exquisiten Geschmack. Ein Kompliment, welches man Leuten mit Geld wie Heu erstaunlich selten machen kann. Mrs. Rowling parierte schlagfertig die zum Teil aggressiven Fragen, ihr Humor schien auf dem Fundament innerer Gelassenheit zu stehen. Fontänengleich rauschte Neid durch meine Blutbahn, jeder bleibt schließlich, wer er schon immer war.

Das neueste Werk, Ein plötzlicher Todesfall, war von der Kritik als Rowling’s erster Erwachsenen-Roman bezeichnet – und in Deutschland zum Teil äußerst kleinlich verrissen worden.

Da der Roman in einem kleinen Kaff, irgendwo in der englischen Provinz spielen sollte, las ich lieber erstmal einen Krimi über Tijuana. Natürlich bin ich immer bereit, ein schlechtes Buch über Mexiko aus der Hand zu legen, aber eines über England gelangt mir meist erst gar nicht vor die Linse.

Es ist Winter. Seit einem gefühlten Jahr. Auch – hasse ich Wolken. Wer brauch’ da England? Was soll’s, kluge Frauen für träge Männerhirne sind wie Schlagringe für die Kieferpartieen der Rassisten – manchmal das einzige, was hilft.

Meint, ich wagte den Trip auf die Insel.

Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag, dem plötzlichen Tod des einzigen Sympathieträgers unter den erwachsenen Protagonisten, einem Mann mit dem Namen Barry Fairbrother. Sobald das geschafft ist, beginnen zirka 500 Seiten zähe Kost: Es wird schonungslos das Innenleben von ultrakonservativ, bürgerlichem Supergesindel skizziert, irgendwo in der englischen Pampa, in einem Nest namens Pageford.

Den Begriff “Supergesindel”, der zweifelsfrei miesestes Deutsch darstellt, gibt es bisher so nicht. Ich musste ihn extra für diese Rezension, zu Ehren des im Buch beschriebenen Ultra-Packs erfinden.

Darüber hinaus werden deutlich und schonungslos die Auswirkungen für eine Gemeinde beschrieben, die durch den plötzlichen Wegfall einer solchen Lichtgestalt entstehen. Stichwort: Ehrenamtliches Engagement eines Einzelnen, richtungsweisend für ganze Biographien eigentlich chancenloser Vorstadtkids.

Wenn der Tod eines einzigen Mannes die Verhältnisse, oder konkret, das Abstimmungsverhältnis in einem Stadtrat dermaßen verändern kann, dass die Entscheidungen plötzlich gegen anstatt für die lokale Drogenklinik oder das Siedlungsgebiet The Fields laufen, dann kann ja etwas nicht stimmen. Wir wissen es doch, ein Mann allein, der kann doch gar nichts bewirken, nicht wahr? Also, alles ganz schön weit hergeholt, Mrs. Rowling?

Tatsächlich geben die Schilderungen der knappen Mehrheitsverhältnisse in Pageford die heutige Verfassung der Landesparlamente in den sogenannten Demokratien dieser Welt realistischer wieder, als uns allen lieb sein kann. Abgeordnete werden aus dem Urlaub geholt, und von Frau Nahles und Herrn Kauder – sprich, von den Generalsekretären der großen Parteien – auf Linie gebracht. Vom ständigen, einander lähmenden Patt zwischen Demokraten und Republikanern in den schon seit geraumer Zeit kaum noch Vereinigten Staaten ganz zu schweigen.

49 to 51 % of America – ein Blick in die Zukunft des vereinigten Deutschlands.

Verwöhnt wie wir von Helden- und Erfolgsgeschichten nun mal sind, weil nur für jene, die es ans Licht schaffen sich die Geschichte die Mühe macht, von deren Existenz zu berichten, erleben wir schaudernd, wie sich das Rad der Möglichkeiten wieder zurückdrehen kann, wenn Menschen in die Schlagschatten ihrer Existenz zurückrutschen.

Beispiel Krystal Weedon. Weiblich, 16, nicht die hübscheste, auch nicht die allerhellste, dafür mit Wut im Bauch und Sehnsucht im Herzen. Über ihre häuslichen Verhältnisse wollen wir, d.h. die Army of Hesh, den Mantel des Stillschweigens ausbreiten, es wäre übel, dreckig und hundsgemein, sich an dieser Stelle über ein solch himmelschreihendes Ausmaß an Crap auszulassen. Die große Politik ist Fräulein Weedon natürlich komplett boogie, aber dass es den Ruderclub nicht mehr gibt weil Barry tot ist, das schlägt ihr kräftig auf den Magen!

Hätte sie sich am Ende vielleicht trotzdem hinter der Turnhalle von Fats – naja, dünn isser nich’ … – vögeln lassen? Sicher. Wäre es auch so ein äußerst langer Weg raus aus Pageford geworden? Auf jeden Fall. Aber das die kleine Ms. Weedon in einem Team aufgehen, an etwas glauben und für etwas kämpfen kann, hätte bei späteren Entscheidungen in ihrem Leben durchaus den kleinen, aber feinen Unterschied ausmachen können …

Zu jedem Auftritt einer neueingeführten Figur auf der Bühne – ich spreche hier von einem warhaft stattlichen Ensemble – liefert Mrs. Rowling ein klares, unverwechselbares, mit feinem Pinselstrich gewebtes Psychogramm mit, was es uns möglich macht, diese Person klar zu erkennen, sowie von anderen faschistoiden Knalltüten zu unterscheiden. Das läuft dann meistens darauf hinaus, dieses Wesen eine Spur anders zu verabscheuen oder zu bedauern, und sollte sich ein Nebensatz einmal um Barry drehen, diesen immer mehr zu vermissen.

Ich als Leser suchte irgendwann nur noch besessen nach wenigstens einem noch lebenden Sympathieträger, ob nun Frau, Mann, Kind, Hund oder Kirchturm von Pageford. Das nahm geradezu exzessive Ausmaße an,  meine Wut führte zur Verspannung in der Dunkelheit. Also sah und hörte ich nicht richtig hin. Es war wie bei einem Streit, zu dem dir die besten Argumente erst dann einfallen, wenn deine Lady längst schlummernd vor sich hinmaunzt, zufrieden mit sich und ihrem Sieg.

Andererseits, was ist so schlimm daran, dass ein Buch nachwirkt, und erst zeitverzögert ein wenig schlauer macht?

Manchmal dachte ich, diese Geschichte gleicht, was ihre Tragik angeht, denen in der Bibel. Diese haben oft etwas einsames an sich: Sie finden in der Erlebniswelt eines Menschen, immer hinter dessen Bergen, unter seinen 7 Zwergen statt. So sehr die Kids im Buch auch fleißig und zeitgemäß ihre Facebook-Accounts bemühen und die globalisierte Welt aus der Ferne glitzert, vor Ort liegt Pageford im Krieg. Krieg um Macht und Einfluss. So klein das Becken auch immer sein mag, es vibriert vor Gewalt – in Gedanken, Worten und Faustschlägen. Krieg zwischen arm und reich. Zwischen Kindern und ihren Eltern. Zwischen Schülern und ihren Lehrern. In Bezug auf den politischen Gegner. Unter den Kids selbst.

Die Liebe? Sie muss sich mit sehr wenig Raum begnügen, inmitten der fast allgegenwärtigen Auswüchse seelischer Grausamkeit. Die Lichtgestalt Barry Fairbrother, die ist ja gleich zu Anfang: Der plötzliche Todesfall.

Barry’s Todesursache, im medizinischen Sinne, ist von Anfang an bekannt, nach der Lektüre des Buches bekam ich eine gewisse Ahnung, was der psychosomatiche Auslöser dafür hätte sein können. In der Atmosphäre von Pagford, hätte ich mich z.b. für eine Lähmung des Sehnervs und eine seltene Form einer inneren Schrumpfung beider Trommelfelle entschieden …

Wie J.K.Rowling es schafft, diese krude Geschichte mit solcher Spannung zu erzählen, kann man wohl theoretisch entschlüsseln, am Ende bleibt es ein Geheimnis großer Literatur. Lev Grossman vom Time Magazine schrieb in seiner Buchbesprechung: „Es ist ein großer, ambitionierter, brillanter, profaner, lustiger, tief bewegender und bedeutender Roman des derzeitigen Englands, reich an literarischer Intelligenz und bar jeden Bullshits“

Genau.

Meisterlichkeit und Disziplin, sowie eine verstörende Dramaturgie: Hunderte von Seiten ein Retardieren, dass dir beinahe Schwimmflossen wachsen. Menschliches Klein-Klein, sich in Stillstand und Selbsthass suhlend, friss oder werde gefressen.

Und jetzt vergiss mal bitte ganz schnell die Kriegskunst eines Machiavelli, Kultur ist doch nix für den Mob – nee, nee, alles soll schön blind und taub vonstatten gehen. Herzerfrischend wühlen und wühlen wir – wofür haben wir denn schließlich die scharfen Beißerchen – immer tiefer hinein in den Dreck der eigenen Barmherzlosigkeit.

Zusammengefasst: Das Wesen des gemeinen Pageforders ist ebenso toxisch, wie der Fraß, den er die ganze Zeit über in sich hineinstopft.

Doch dann, auf einmal, überschlagen sich die Ereignisse: 2 Kinder sterben, es liest sich nahezu wie in die Seiten gequetscht, kein Platz mehr für Erklärungen: Dinge passieren!

So geht Leben: Gleichlauf. Unbeweglich. Unbelehrbar. In den eigenen gedachten Grenzen herumtigern war gestern, heute liegen wir nur noch da, wie müde Löwenherren in der Sonne. Und dann? Kracht’s plötzlich. Der Wärter bringt nur Krautsalat … /  Eine Frau verlässt dich, völlig unvermittelt … / Dein Sohn wollte noch ‘ne Stunde auf die Skateboardbahn, kommt nicht wieder, und landet samt seinem Vergewaltiger und Mörder in den Abendnachrichten …

Der Schmerz ist nicht auszuhalten, keine Ablenkung funktioniert mehr. Du findest keine Ruhe, mit den alten Gewohnheiten kommst du nicht durch, also änderst du etwas. Nun hast du die Kraft dazu.

So auch hier: Wir erleben wie die Stadt ihre Unschuld endgültig verliert, in einem unfassbaren, kollektive Akt unterlassener Hilfeleistung. Diverse Handlungsträger – darunter einige, von denen ich es am wenigsten erwartete – raffen sich auf, nicht einfach weiter zu leiden, oder nach Schuldigen zu suchen. Sie fangen an darüber nachzudenken, immer wieder aufgeschobene Entscheidungen vielleicht doch zu treffen.

Da ist sie auf einmal, die Hoffnung. Sieh an, mit Barry ist sie also nicht gestorben.

Und als wäre der Platz von der Tragödie am Fluss zu berichten nicht schon gering genug, endet der Roman mit einer Rückblende, einem Ruderwettbewerb unter dem noch lebenden Barry. Wir erleben Krystal im Team ihrer Mannschaft. Völlig anders agiert sie hier, als wir sie das ganze Buch über kennen: Kraftvoll, voller Hoffnung und Saft, holt Krystal mit ihren Mädchen von der Gesamtschule den Sieg gegen die höheren Töchter des Internats …

Das trifft ins Mark, und das vermag es, weil J.K. Rowling in einem wichtigen Punkt konsequent bleibt: Das Loch, welches Barry gerissen hat, wird niemals mit Rückblenden oder Schilderungen seine Person betreffend, ausgefüllt. Sein Familienleben, eventuelle  Widersprüchlichkeiten seines Charakters, all das, ist an diesem Punkt der Geschichte völlig unerheblich.

Vakanz. Tot. Ende. Nix mehr. Wir sehen was hängen bleibt, wenn die Lebenden allein agieren müssen. Klar, der Mann erscheint uns fast als Provokation, so überlebensgroß und angeblich unfehlbar, wie der gewesen sein soll. Pah! Da wir nicht mehr an ihn herankommen, lehnen wir uns reflexartig auf. ‘Der wird doch auch mal eine Taube aufgescheucht haben, oder etwa nicht?’

Aber das sind wir. So sind wir. Wir wollen ja nicht einmal hinnehmen, dass Menschen gelegentlich, völlig eindimensional, blanker Dreck sein können. Aber manchmal sind sie genau das.

Zum Schluss noch ein Gedanke zu den uralten britischen Seelen, welche uns Krauts immer ein Rätsel bleiben werden. Wer je versucht hat, den Einrastmechanismus eines noch in Great Britain hergestellten Russel Hobbs Toasters mit dem Tastsinn einer deutschen Hand zu erfühlen, der weiß, dass sich dieses “It’s different” nicht allein auf Kunst und Hochkultur beschränkt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die in ihrem Inselkönigreich selbst ganze Armeen von bierseeligen Hooligans, tonnenweise Junkfood sowie ein Städchen namens Pagford mit lauter Irren im Stadtrat haben … aber das, das gibts ja nur im Buch.

Soviel Witz in all der Tragik, ständig bitteres wie helles Auflachen, wechsel- gebadet mit Tellern voller riesiger Klöße im Hals, über so viel kranken Scheiß in Menschenhirnen, von der Rührung über die Beschreibung sich so unvergleichlich an sich selbst schindendenden jugendlichen Seelen ganz zu schweigen. Aufgrund dieser Tatsache, hier zum Schluss mein Einwand gegen die Klassifizierung des Romans als Erwachsenen-Roman. Für schlaue 16- bis 21-Jährige, die nicht mehr so unbedingt auf einen neuen Harry Potter warten, könnte das Buch eine Entdeckung sein.

Außerdem steht auf Seite 211 der wundervollste Satz, den Hesh je gelesen hat, denn nie hat jemand treffender damit zugleich den Moment seiner eigenen Geburt beschrieben:

“Es begann mit kaum mehr als einem Verlangen nach Nikotin und Schönheit.”

Heiko Hesh Schramm

Zur kompletten Sendung.

Jealousy Mountain Duo live

Photo: Berger of Jealousy Mountain Duo by Edgar Kls Peters Belmonte

Photo: Berger of Jealousy Mountain Duo by Edgar Kls Peters Belmonte

 

Jealousy Mountain Duo live – Ein Review.

 

the jealousy mountain voodoo

 

tanz den voodoo – den jealousy mountain voodoo
tanz ihn auf der stelle – in der ferne brennt ein licht
auf auf, mein freund – kein herz, das zweimal bricht

tanz den voodoo – den jealousy mountain voodoo
tanz ihn am steuer – am bug schäumt die gischt
halte durch, Jonny – land ist in sicht

tanz den voodoo – den jealousy mountain voodoo<
immer auf der stelle – egal was man dir verspricht
die wellen im sturm – mehr brauchst du nicht

 

menschen in den städten suchen sich ihr refugium. etwas, das ihnen gehört. wie eine insel auf dem kontinent. musik steht hoch im kurs, sie kostet nichts. ob du eine band gründest, dich dämlich streamst, oder zu einer guten show rennst – du spürst die energie und fertig.

authentizität ist nichts als ein lebenslauf.

jealousy mountain duo

live at ostpol, dresden-newtown, germany

1
zwei typen
berger + schneider
danelectro +++ riesiger ampeg-svt2-turm +++ riesiger mesa boogie-400(+)-turm +++ loopstation +++ drums
kein mikro

2

die stille nach dem ersten song, fühlt sich an wie ein vakuum. als presse man seine lippen gegen dicke holzbohlen und versuche zu atmen. wildfremde leute testen ihre sinne, indem sie einander ansehen. 85% von ihnen, wirken zu 100% taub. ein typ – stolz auf sich, seinen Vollbart und seine Ohrschützer – stellt wortreich betrachtungen darüber an, wie ein hörsturz im detail abliefe.

alles ist gut – irgendwo tuschelt ein pulk ladies. ich denk’ noch, ‘um dem mitteilungsbedürfnis junger damen den saft abzudrehen, bedarf es einer neutronenbombe im radius unter einem kilometer,’ da bringen diese plötzlich ihre schönen lippen in eine, von verlässlich weiblicher neugier geprägte ruheposition – berger spricht mit blanker stimme.
alle verstehen, was er sagt:
… der erste song hieß, rock the beach. der nächste ist, surfers around the fountain. er freue sich, dass wir gekommen seien …
wie laut die band wirklich ist, wenn sie zurück auf PLAY schaltet, überrascht aufs neue.
immerhin … stilistisch sind JMD problemlos einzuordnen:
noise-core-free-jazz-dub-emo-minimal-hardcore-pop.

in der mitte des ersten tracks schiebe ich meinen hut in den nacken: die loopstation sorgt dafür, dass ich 3 gitarren-riffs auf einmal höre. bis zum ende werden es gefühlt um die 8 sein. jede note ist live. irgendwann. ein part wird geloopt, dann läuft er. sich selbst überlassen. wie berger ihn gespielt hat, bleibt er in der welt.

wellen. wellen, um deren intervalle sich jemand kümmert. zwischen tal und kamm bricht sich die nächste spur. wir haben das meer im saal: sturm, flaute, tiefschwarze see, die brünette schönheit direkt neben mir, wird vollends unerreichbar. sie lässt sich fallen, gibt nicht auf, sinkt bis hin zum grund. irgendwer findet strandgut. navigieren durch dichten nebel, der mond fährt mit der hand ins wasser. zillionen fluoreszierender noten: hörbar – natürlich –  aber ich bilde mir ein, sie auch zu sehen, dabei habe ich lange nichts eingeworfen. lebhafte diskusionen zwischen auge und ohr wie lange nicht-   

die ruhige hand am steuer ist bergers sache. er muss es aus sich herausholen, seine danelectro ist der traum eines jeden feiglings – sie macht nur, was man(n) ihr sagt.

danelectro: billige kaufhaus-gitarren für u.a. SEARS und MONTGOMERY WARD / hauptsitz in camarillo, CA / gegründet 1947 von nathan daniel / holzrahmen mit masonit verkleidet, siehe auch: bootsbau / korpus: innen hohl / nervig brummende single-coil pickups namens lipstick-tube –  die story dazu: die tonabnehmer wurden ursprünglich in lippenstifthülsen aus einer vorhandenen überproduktion verbaut, um die kosten gering zu halten. warum auch sonst? / für ex-DDR-bürgerInnen:  die danelectro ist der trabi unter den e-gitarren. / was kann mann nettes sagen? sie sehen supercool aus. und ihr sound klingt trockener als ein furz von dieter’s -ex, einen monat vor der scheidung-

mit allem was schiefläuft, während des einspielens des ersten oder zweiten loops, müssen wir leben. bis zum letzten ton des songs. pro nacht ist jeder einzelne von ihnen, für sich selbst die letzte chance. berger weiß das – seine flanke zuckt so spastisch wie die kräftig angeschlagene e-saite am double-bass von art hubbard.

annahme: kaum jemand wichst gern freiwillig in der öffentlichkeit.
frage: warum tun es dann so viele?

bei JMD kein problem. es geht darum, wie sie es haben wollen.
ordnung und form. hingabe, und immer noch die kraft dafür. jung sind sie nicht mehr – dafür sexy. niemand außerhalb von MEXIKO, trägt sein basecap lässiger als berger, oder hat einen verwegeneren lockenkopf wie schneider.

im grunde einfach: funktioniernde schwellkörper sind eine gute sache, aber vor allem, musst du die lady wirklich wollen. alles andere, entsteht dann zwischen euch.

JMD sind das gegenteil von anarchie: sie arbeiten sich an der norm ab – demokraten on stage.
demokratie zu leben ist nicht einfach, also ist betrieb in der hütte: zuckende leiber krümmen sich. vor anspannung, konzentration, ekstase.
anspannung – offensichtlich kostet es kraft, solch komplexen sound zu beherrschen.
konzentration – bei aller professionalität und besessenheit ist der fokus auf die umsetzung, auch geistig eine große kür.
ekstase – weil, wenn es gelingt, weht schönheit und freiheit durch den laden. für die band. für uns alle.
ganz weg – ganz da. the power of music.

die alles zerhackenden, niemals zur ruhe kommenden schlagwerk-salven von jörg a. schneider, unglaublich brachial, mehr herausgehauen als gespielt, klingen aufs erste ohr, schwer voodoo-like. sind sie nicht. sie sind das gegenteil. farblich betrachtet, stehen sie für das stakkato an informationen und veränderungen – für das hamsterrad, in dem die zellen 24/7 rotieren, wenn du nicht zufällig OSHO bist. bist du nicht, der mann ist lange tot.

bergers melodien erinnern daran, dass wir dennoch eine wahl haben.
betörende hooklines – die uns der welt entheben und einer anderen, besseren entgegen tragen, auf dass die rückkehrer die frohe botschaft verkünden: wir. sind. (noch) lebendig.

gottlob, nicht die nächste massenbewegung. hinter all dem chaos lauert ruhe. in einklang und auflehnung – eine debatte mit dir selbst. wenn du bestehst, tut sich was bei dir. für den wind, draußen in den straßen. leben. gesichter. augen, deren blick du erwidern kannst.
spät im morgengrauen fällt dir auf, du hast dein smartphone bei ihr liegen lassen …

JMD sind hardcore – high energy music. hör es unter headphones. geh hin, wenn sie spielen. fran, meine frau, fasst es wie immer ein wenig knapper zusammen: “der moderne medizinmann verordnet JMD!”

 

hesh

Studio B – HESH on Michael Chabon

hesh on michael chabon

HESH rezensiert Die Vereinigung jiddischer Polizisten von Michael Chabon.

Die Vereinigung jüdischer Polizisten von Michael Chabon

Manchmal ist es ein Genuss zu sündigen. Heimlich. Tief in der Nacht auf einem kalten Schnitzel herumzunagen – obwohl man jeden Tag fetter wird. Präsident Putin die Grätze an den Hals zu wünschen – obwohl halb Deutschland die Beweg(AB)gründe seines Handelns sooo gut verstehen kann. Die Feministinnen für ihren Kampf um Gleichstellung zu bewundern, meine Frau geradezu abgöttisch zu lieben – aber trotzdem jedem weiblichen Wesen außer Mutti, in den Schritt zu glotzen.

Oder aber, drei Bücher geradezu zu fressen, während man eigentlich ein ganz anderes Buch lesen müsste, weil es heute Abend in Studio B besprochen werden soll …

Drei andere Bücher gelesen?  Soso, kann ja jeder sagen.

OK …

1.) Andreas Eschbach’s Eine Billion Dollar, zirka 1000 Seiten, ein Buch wie endlos Würzfleisch essen dürfen. (Für Leute welche aus der Gegend um Düsseldorf hierher zu Besuch kommen, und bei der Zeitangabe viertel drei mindestens eine halbe, meistens aber eine ganze Stunde zu spät am Goldenen Reiter eintreffen:

  • Würzfleisch: DDR, Schweinefleisch und/oder Geflügel.
  • Ragout Fin: BRD, in der Hauptsache bestehend aus Kalbfleisch und Innereien.
  • Gemeinsamkeiten: Worcester Sauce.)

— weiter im Text —

2.) Joseph Wambaugh’s  Die San-Diego-Mission, 399 Seiten, ein Buch wie endlos Chicken Nachos mit Käse überbacken, dazu Sour Cream und schwarze Bohnen on the side, das alles zum mitnehmen in der Assiette, irgendwo Nachts an der 6th Avenue – obwohl die Handlung im Grenzgebiet zwischen San Diego und Tijuana spielt …

3.) Henning A. Wenzel’s  Späte Stunde der Wahrheit, 227 Seiten, Erzählungen eines in Dresden lebenden deutschen Schriftstellers für den ich, brennend vor Begeisterung, Jim Beam’s Rye Whisky erfinden würde, wenn es ihn nicht schon gäbe. Watch out for the yellow label, dude! Wermutstropfen: der Mann hasst dem Anschein nach Katzen. Das geht gar nicht.

Und an, äh, vierter Stelle –  weil ich allen erzähle, dass ich zur Zeit völlig blank bin, wär’s fast unter’n Tisch gefallen:

Cormac McCarthy’s Drehbuch The Counselor, 173 Seiten, ein blutiges, jedoch ganz und gar nicht englisches Rindersteak, druckfrisch von Rowohlt für 12.99.

Kurz und gut, oder in Schrammsch’ wie immer lang und breit:

Das Buch von Michael Chabon Die Vereinigung jüdischer Polizisten, habe ich nicht lesen können!

Aha, es ist also ein Heimatroman und handelt von der Schönheit der Berge in Oberösterreich?

Nope, die Wikipedia sagt: Es ist ein Krimi vor fiktivem, alternativhistorischem Hintergrund: Eine Gründung des Staates Israel hat es nie gegeben, die USA haben den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg innerhalb ihres damaligen Bundesterritoriums Alaska eine Heimstatt angeboten. Es entsteht ein provisorisch eingerichtetes Gebilde mit jiddischer Sprache unter dem Namen “Federal District of Sitka”. Der Roman spielt nun im Jahre 2007. Ein evangelikaler US-Präsident betreibt die Aufhebung des provisorischen Status, der jüdischen Gemeinschaft droht die Auflösung. Die drohende, erneute Heimatlosigkeit führt zu Spannungen. Ein Mord geschieht, Polizeidetektiv Meyer Landsman ermittelt …

 aber zu all dem kann ich nichts sagen, bin auf Seite 22 abgestorben. An sich kein Beinbruch, passiert halt. Man kommt nicht rein, quält sich kurz, und schenkt die Schwarte jemandem, den man nicht leiden kann. Dumm nur, dass unsere Radioshow ansteht, in der das Buch zentrales Thema ist. Und ich doch unbedingt, also sowas von …, den Drang verspüre, mitreden zu wollen. Dabei sein ist Leben! Atmen! Teil einer Gemeinschaft sein!  “Macht sie platt!” “Rettet sie!” “Wen jetz nochma?” “Egal, Hauptsache druff!”

Warte ma. Wovon willst du mitreden, wenn du das Buch nicht liest?

Naja, mir würde da schon das eine oder andere … denn, glücklicherweise – zu keinen Zeiten war es so dermaßen unproblematisch wie heutzutage, über etwas zu reden, zu urteilen oder zu schwärmen –  von dem man keinerlei Ahnung hat.

Amerika ist grässlich – du warst nie dort. Politiker sind faule Säcke – noch nie einen aus der Nähe gesehen, geschweige denn einmal dessen Arbeitstag geteilt. Und Sandy ist so geil in der Kiste – woher weiß er das? Sie hat ihn doch nie rangelassen …

Oder jemand fragt: “How are you?”

Nun versuch da mal wahrheitsgemäß zu antworten. Der denkt du bist irre. Das machen Millionen so, produzieren Unmengen an Geschwalle. Bloß gut, dass Twitter da einen Riegel vorschiebt-

Apropos Text.

Ich schreibe tausendfach zu lange Essays. Nach hundertfachem kürzen. Einfach zu oft, zu verliebt in einen Satz, der Kerl! Grenzenlose Eitelkeit besorgt den Rest.

Apropos Rest.

Folgender Satz auf besagter Seite 22, gab mir den Rest, ich zitiere: “Nur um sich selbst zu ärgern – denn sich zu ärgern, andere zu ärgern, die Welt zu ärgern, ist die Lieblingsbeschäftigung und das alleinige Erbe von Landsman und seinem Volk.”

Ich wusste also nun, dass der Schriftsteller Michael Chabon Jude ist, sonst wäre dieser Satz samt dem dazugehörigen Buch weder in den USA noch in Deutschland je verlegt worden. Nun baute sich plötzlich ein riesiger innerer Druck auf, dass ich mit der Schreibe dieses Mannes nicht zurecht kam …

“Heshie, was hast du denn?”

Also, irgendwann im letzten Jahr gab es einen kleinen Sommerloch-Eklat in der Presse. Der deutsche Journalist Jakob Augstein erachtete es für notwendig, Israels, seiner Meinung nach, aggressive Außenpolitik zu kritisieren. Die Reaktion war ein orgiastisches Maunzen und Röhren im Blätterwald. Die Einen schrien: Judenhasser! Andere skandierten: Meinungsfreiheit! Selbstverständlich meinten allesamt aber nur ihre jeweils eigene Vorstellung davon. Im speziellen Fall war von sekundärem, das heißt verstecktem Antisemitismus die Rede. Dieser kröche neuerdings aus allen Löchern. Herr Broder schüttete frischen Kies drauf, also, auf die Löcher, und nannte Augstein rundheraus einen Antisemiten. Nun, der von mir verehrte Herr Broder muss es schließlich wissen. Lange dachte ich sogar, antisemitische Subtilitäten ließen sich überhaupt nur von einem jüdischen Bürger erspüren. Aber das ist Blödsinn.

Für mich, naiv wie ich bin, – gibt es nur Menschen. Gute und schlechte, große und kleine, die schönsten sind die Frauen. Jeder Genozid, aufgrund von irgendwas, ist für mich nicht fassbar. Mir sogleich widersprechend, anbei mein Lebensmotto: Alles was Menschen tun, wie grässlich es auch immer sein mag, ist per se menschlich. Ist die Ermordung von Millionen von jüdischen Menschen während der Hitler-Diktatur somit lediglich ein besonders saftiges Kapitel der menschlichen Pathologie? Nein – denn die Zeit heilt nun mal nicht alle Wunden: Riesige Löcher in einem Volk bleiben für alle Zeiten gerissen.

Und damit bleiben wir beim Thema meines heutigen Beitrags zu Studio B: Mitreden, wovon man keine Ahnung hat. Herrn Augsteins Gedanken hin oder her, der Punkt ist: Die Deutschen, haben es ein für alle mal verkackt mit Israel. Die sollten hier einmal wirklich nicht mitreden. Und sich, so berechtigt es ihnen bisweilen erscheinen mag, jede Belehrung verkneifen, was das Schicksal des jüdischen Volkes angeht.

Ansonsten, würde ich gern von meinem Traum erzählen. Wie soeben ausgeführt, habe ich leider den falschen Pass, um die mir in diesem Traum erschienen phantastischen Bilder in gedruckter Form an die israelische Botschaft, sowie die palästinensische Vertretung zu schicken. Die Mahnung zur Zurückhaltung aufgrund unserer dunklen Vergangenheit wird noch verstärkt durch eine viel grundlegendere Problematik. Diese besteht, schlicht und einfach, in unserer/meiner westlich geprägten Sichtweise. Es ist Hybris in Vollendung, sich anzumaßen, bloß weil wir scheinbar gut dastehen, die Probleme der Länder des Ostens beurteilen zu können. Ob Griechenland oder Israel, ob naher oder noch näherer Osten, WIR sind weder schlitzohrig noch leidgeprüft, wir sind nur noch fett. Westler können Wachstum! Klar, oft genug zwar hauptsächlich auf Kosten fremder Völker und Nationen, aber das schert uns doch nicht. Kuschelig weich fühlt er sich an bisher – der Externalisierungsfleece. Die Deutschen ziehen ihr Rechnungsbuch sogar noch höher als das Kruzifix, sofern sie überhaupt einer Konfession angehören. Achtung, Heißluftballon über dem Kirchenschiff! Am Ende verpufft alles im Tal der Selbstgefälligkeit. Stolz und Würde sind hierzulande weder im Arbeitsleben noch in der Politik Maßstab des Handelns, wenn überhaupt, sind sie reine Privatsache. Wir verstehen nicht, wie die Menschen dieser fernen Länder ticken, daher haben wir auch keinerlei Mitspracherecht uns ein Urteil darüber anzumaßen, auf welche Weise diese Nationen an ihre ureigensten Probleme herangehen.

Fein aufgesagt. Aber wer kann schon was für seine Träume …, also los gehts:

——- Im Jahre 2345 sind sowohl Israelis als auch Palästinenser des ewigen Zankes müde. —- Es wird eine Konferenz einberufen – führende Vertreter Israels und Palästinas kommen mitten im Herzen Jerusalems zusammen. Das Treffen findet ohne Vermittlung oder gar die Teilnahme ausländischer Mächte statt. Hillary Mason, die zweite farbige Präsidentin in der Geschichte der USA, nimmt sich an diesem Tag die Zeit, der Öffentlichkeit den neuen Wellnessbereich im Weißen Haus vorzustellen. —- Bei der heiklen Zusammenkunft wird nur ein Thema verhandelt: Wie gehen wir mit den gemeinsamen Wurzeln in Jerusalem um. Müssen sie auf ewig zwischen uns stehen, oder könnten vielleicht gerade sie helfen, uns ein Stück weit einander näher zu bringen? —- Alles beginnt wie immer, endlose Diskusionen verlaufen in alten Mustern, man reibt sich an Kleinigkeiten, und keine ist klein genug, um auch nur einmal nachzugeben. Kein Ende scheint in Sicht. Nach drei langen Tagen und Nächten voller Streit und Schuldzuweisungen, fängt einer der Berater des israelischen Ministerpräsidenten plötzlich laut an loszulachen. Der Mann wird vor Erschöpfung langsam hysterisch, sein Lachen klingt anfänglich nicht gerade fröhlich. Da er jedoch von den Mitgliedern der palästinensischen Delegation geschätzt wird, weil sie ihn als einen Menschen ohne Vorurteile kennengelernt haben, fällt allen ihre Müdigkeit ein, die momentane eigene, wie auch die ewige, längst als schreckliche Last empfundene kollektive Erschöpfung ihrer beider so lange schon geschundenen Völker. Alle miteinander sehen sie zum ersten Mal in ein und denselben Spiegel, und langsam, einer nach dem anderen, stimmen sie ein, in ein so verschiedenartig anmutendes Lachen, dass es, wenn man es hätte sehen können, dem Farbspekrum eines Regenbogens entsprochen hätte. Als im Saal wieder Ruhe einkehrt, erhebt besagter Mann plötzlich die Stimme und macht einen Vorschlag, den die Männer und Frauen im Saal noch vor einigen Minuten für den sicheren Beweis gehalten hätten, dass der geschätzte Kollege schlicht verrückt geworden sei. Man berät sich kurz. Eine seltsame Stimmung gleichverteilter Unsicherheiten, aber auch vereinzelt glimmender Hoffnung lässt das Licht im Raum heller erscheinen. Die um sich greifende Vorahnung, einem historischen Moment beizuwohnen, wirkt berauschend. Kurz darauf erfolgt die Abstimmung. Sie ist ein überwältigender Erfolg. Der Beschluss ergeht einstimmig: —- Die besten Töchter und Söhne Palästinas und Israels werden auserwählt. Sie erhalten einen Pass und sind ab sofort Bürger Jerusalems. Als eine Abordnung ihrer Völker einen Neubeginn zu wagen. Mit dem Privileg, gleichberechtigt an den heiligen Stätten vertreten zu sein. Die Teilnahme am Leben in der Stadt, gilt in dieser Zeit als Auszeichnung und beinhaltet die Verpflichtung zu einem friedlichen Miteinander, und den Aufbau einer Universität inklusive einer Geschichtsfakultät. —- Man einigt sich auf harte Einschnitte: —- Alle in Israel lebenden Palästinenser müssen für eine Zeit das Zentrum der Innenstadt Jerusalems verlassen. —- Im Gegenzug stimmt Israel der Gründung eines eigenen Staates Palästina zu. Die Mauern an der Grenze zum Gazastreifen bleiben vorerst bestehen, Tunnel werden zugeschüttet. Eine gemeinsame Polizeieinheit wird ins leben gerufen, deren einzige Aufgabe es ist, das Zentrum Jerusalems rund um die heiligen Stätten vor Anschlägen und Sabotageakten zu schützen. —- Man ist sich einig: Es darf ein Jahr lang auf beiden Seiten keine Toten geben. Die Menschen müssen wieder klar denken können. Ohne Hass, ohne Blindheit, ohne unbändige Wut. Mächtige Organisationen von Müttern, deren Söhne im blutigen Kampf beider Völker gefallen sind, mahnen die Verantwortlichen, im Gedenken an ihren unbändigen Schmerz, jetzt nicht einzuknicken und den Menschen endlich ein Leben in Frieden zu ermöglichen. Die Proteste der Siedler, der Orthodoxen sowie der Hamas hören sich zunehmend an wie dünnes Gebrabbel aus einer Vergangenheit, die alle miteinander nur noch hinter sich lassen wollen. Unter den Menschen breitet sich Hoffnung aus. Junge Männer zeigen den Rattenfängern des Terrors den Stinkefinger, erstmalig sehen sie eine Perspektive für ein Leben in Würde und gegenseitigem Respekt. Sie wollen anpacken, ihr Land aufbauen, zu Wohlstand kommen – für all dies müssen und wollen sie leben. Selbstmordattentate erleben einen dramatischen Rückgang. —-  Nach einer Übergangszeit, zu Beginn von kleineren Zwischenfällen und Scharmützeln begleitet, welche jedoch durch die enge Zusammenarbeit der offiziellen Stellen, sowie den beherzten Einsatz von Bürgerwehren auf beiden Seiten rasch abflauen, erhält jeder Einwohner beider Länder eine Besuchserlaubnis zur Besichtigung der Stadt. Am Ende steht eine in vielen Fällen weiterhin kompliziert verlaufende, aber letztendlich friedliche Koexistenz zwischen einem zur eigenständigen Nation heranwachsenden Palästina und dem modernen Israel. Die Mauern werden abgebaut. Es entsteht ein normaler Grenzverlauf, mit freundlichen israelischen Grenzbeamten …

So, wir wachen langsam auf und stoßen uns nicht das Köpfchen. Eingangs sprach ich von Hybris. Gutgemeinte Anmaßung bleibt immer noch Anmaßung. Also, spende für’s rote Kreuz, hilf auch nur einem einzigen Flüchtling und besprich deine Träume mit deinem Therapeuten.

Was aber hat all das mit Mr. Chabons Buch zu tun? Warum hast du jeden Satz zweimal gelesen und bist dennoch nicht reingekommen? Der Übersetzer? Ja, ja, hau drauf. Keine Ahnung. Aber nah dran: Es ist die Sprache. Es ist immer die Sprache. Das liest sich so, so spröde –  knarz, harz, bratz. Als würden Spejbl und Hurvinek zusammen mit dem braven Soldaten Schwejk ein Wettschnitzen mit dem Hauptmann von Köpenick veranstalten, und herauskäme der liebe Pinoccio, klein und niedlich und noch ohne langen Zinken …

Langer Zinken?

Ups, so schnell geht das?

Am Anfang habe ich vom Genuss des Sündigens geschrieben. Ist mir längst vergangen und der Angst gewichen, einer wirklich schlimmen Sünde für schuldig befunden zu werden. Nämlich, dass tief in meinem Herzen, das Schreckgespenst des Antisemitismus auch meinen Blutkreislauf vergiften könnte. Was die abschließende Frage aufwirft: Wäre es einfacher gewesen, dieses Buch entspannt aus der Hand zu legen, wenn Michael Chabon ein tschechischer Christdemokrat wär?

Hesh

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